Briten auf EU-Gratwanderung

In Großbritannien wird das 40-Jahre-Jubiläum als EU-Mitglied nur von wenigen gefeiert. Mehr als die Hälfte der Briten würde laut Umfragen am liebsten aus der Union aussteigen. Premierminister David Cameron kommt zunehmend unter Druck. Alles wartet auf seine schon lange angekündigte Grundsatzrede zur EU.

Mittagsjournal, 28.12.2012

Veränderung des Vertrags von Lissabon

Immer und immer wieder verschiebt David Cameron die Europarede. Die Briten scherzen schon, er wisse wohl nicht, was er sagen soll. Das ist gar nicht so falsch gedacht, denn die Rede ist ein Drahtseilakt. Die Konservativen in Camerons Partei fordern eine Volksabstimmung über den Austritt aus der EU.

So weit möchte Cameron aber nicht gehen: "Ich möchte keine Ja-oder-Nein-Entscheidung zur Mitgliedschaft. Ich möchte die EU nicht verlassen. Aber so wie es jetzt ist, gefällt es mir auch nicht. Was die meisten Bürger wollen, ist eine neue Beziehung zur EU und dann eine Abstimmung über diese neu verhandelte Beziehung." Im Klartext heißt das, Cameron möchte, dass der geltende EU Vertrag, der Lissabon-Vertrag, verändert wird.

Verhandlungen für neuen Vertrag wohl langwierig

Das sehen angesichts der Eurokrise auch andere Länder als notwendig an. Die neuen Instrumente, die kurzerhand in der Not geschaffen wurden, wie die hunderte Milliarden schweren Rettungsschirme, sind alle außerhalb des EU-Rahmens geschaffen worden. Eine Reparatur oder Weiterentwicklung des Lissabon-Vertrags ist notwendig, aber gefährlich.

Für eine Neuverhandlung würden alle Länder ihre Spezialwünsche auf den Tisch legen und im Moment ist der Zusammenhalt unter den EU-Mitgliedsstaaten ohnehin so schwach wie schon lange nicht. Die Verhandlungen würden auf jeden Fall länger dauern als die vor dem Vertrag von Lissabon, die sich über zehn Jahre gezogen haben.

Britischer Vizepremier ist für den Verbleib bei der EU

Einige Länder wollen noch enger zusammenarbeiten, um mehr Stabilität und Gewicht zu erreichen, vor allem die Eurostaaten. Andere hätten lieber mehr Freiheit oder weniger Verantwortung für die anderen. Großbritannien ist ein wirtschaftlich wichtiges Mitglied, das aber immer sein eigenes Süppchen gekocht hat. Bei einigen gemeinsamen Projekten ist es nicht dabei, zum Beispiel hat es nach wie vor seine eigenen Grenzkontrollen und wollte auch den Euro nicht.

Wirtschaftlich gesehen braucht Großbritannien die EU aber, warnt Vizepremier Nick Clegg von den Liberalen, der gegen ein Referendum ist: "Die Euroskeptiker müssen gut aufpassen, wenn sie Großbritannien aus der EU hinaus drängen wollen. Das wird nicht passieren, solange ich in der Regierung bin, denn es gefährdet britische Familien, britische Betriebe, britische Arbeitsplätze. Das lasse ich nicht zu."

Van Rompuy warnt Cameron

Premierminister Cameron riskiert also seine Regierung, wenn er zu weit geht. Gewählt wird erst 2015. Er ist aber zuletzt den Euroskeptikern zu Hause enorm entgegen gekommen und hat in Brüssel immer wieder mit seinem Veto gedroht oder Projekte blockiert, etwa das gemeinsame Budget oder den Fiskalpakt.

Dafür rügt ihn heute Ratspräsident Herman van Rompuy in einem Interview: "Wenn sich jeder nur die Rosinen herauspickt und bei allem Unangenehmen nicht mitmacht, könnte sich der gemeinsame Markt oder die ganze EU auflösen“, warnt er Cameron. Die EU-Rede, deren Termin noch immer nicht fest steht, könnte die wichtigste Rede in Camerons Karriere werden und über den Bestand seiner Regierung entscheiden.