Afghanen warnen vor US-Total-Rückzug

Die US-Regierung schließt einen Abzug aller US-Truppen aus Afghanistan nach dem Ende des Nato-Einsatzes nicht mehr aus. Bisher wollten die Amerikaner bis zu 15.000 Soldaten in Afghanistan stationiert lassen. Afghanische Abgeordnete warnen bei einem Totalabzug vor einem Rückfall in den Bürgerkrieg, das würde den Weg für einen militärischen Sieg der Taliban ebnen.

Die NATO will Ende 2014 ihren Kampfeinsatz am Hindukusch beenden, den afghanischen Streitkräften aber auch danach noch mit Ausbildnern und Beratern zur Seite stehen. Ein völliger Abzug der Amerikaner hätte große Auswirkungen auf diesen Plan. Die USA stellen mit 68.000 immer noch zwei Drittel der Soldaten in der internationalen Schutztruppe ISAF.

Mittagsjournal, 10.12.2012

Aus den USA, Christian Staudinger

Amerikaner kriegsmüde

Es war Ben Rodhes, der stellvertretende Sicherheitsberater von Präsident Obama, der erstmals auch einen raschen Totalabzug der US-Truppen aus Afghanistan ins Spiel brachte. Das ist die bisher deutlichste Aussage, dass Präsident Obama entgegen den Empfehlungen seiner Generäle, fast alle Soldaten vom Hindukusch abziehen könnte.

So richtig ernst nehmen dieses Szenario aber nur einige US-Medien, denn die Amerikaner sind längst Kriegsmüde. Der Alltag der US-Soldaten in Afghanistan ist wenig glorreich - Er schwankt zwischen gefährlichen Kampfeinsätzen und anschließenden Entschuldigungstouren. Denn immer wieder müssen die US-Soldaten für den Tod von Zivilisten um Vergebung bitten, so wie hier, wo sich Soldaten bei einem Afghanen für den Tot seiner Frau durch ein US-Bombardement entschuldigen: Please told him, that I´m deeply sorry that she died.

Druck auf Karzai

So ist es also verständlich, dass sich viele Amerikaner ein schnelles Ende des Afghanistan-Einsatzes wünschen, wahrscheinlicher wird er dadurch aber nicht, denn mit einem Totalabzug würden die US-Truppen nicht nur die Afghanen vor ein großes Problem stellen, er hätte auch starke Auswirkungen auf die NATO-Partner in Afghanistan. So sind etwa die deutschen Soldaten auf die Unterstützung der US-Hubschrauber angewiesen. Für das deutsche Verteidigungsministerium ist ein Totalabzug der Amerikaner daher auch nur "eine Option fern jeder Realisierung", wie es heißt.

Stanley McChrystal war bis 2010 US-Kommandeur in Afghanistan, dann ist er über seine zu laute Kritik an der US-Regierung gestolpert. Er spricht sich heute für eine Partnerschaft mit Afghanistan aus: Was die Afghanen wirklich vom Westen brauchen, ist eine strategischen Partnerschaft, zu wissen, dass wir da sind wenn sie Hilfe brauchen, da geht es nicht im große Kontingente oder Milliarden von Dollar.

Und selbst die Taliban, für die ja ein Abzug der ausländischen Truppen ein Erfolg wäre, sind skeptisch. Das Thema sei zu spekulativ, sagt ihr Sprecher Sabihullah Mudschahid. Viel wahrscheinlicher als ein tatsächlicher Totalabzug ist es, dass die USA mit diesem Szenario Druck auf den afghanischen Präsidenten Hamid Karzai ausüben wollen. Die Verhandlungen über ein Stationierungsabkommen verlaufen zäh, die strafrechtliche Immunität der US-Soldaten ist einer der Knackpunkte. Am Freitag wird Präsident Karzai in Washington erwartet, das gerade jetzt die Option eines Totalabzuges auftaucht, ist da wohl kein Zufall.