Kurden in Türkei: Aussöhnung mit Hürden
In der Türkei nimmt der Friedensprozess zwischen der Regierung und der kurdischen PKK immer konkretere Gestalt an. Regierungschef Erdogan hat eine Gruppe prominenter Persönlichkeiten ausgesandt, um in allen Regionen des Landes für den Ausgleich mit der PKK zu werben. Dabei kommen allerdings auch viel Kritik und Misstrauen zum Vorschein. Denn Vielen geht diese politische Wende zu schnell.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 29.4.2013
Gestern noch galten die PKK-Kämpfer als der Staatsfeind Nummer Eins. Jetzt sollen sie unbehelligt abziehen dürfen, vor den Augen des türkischen Militärs. Eff‚ Ich dachte unser Ministerpräsident ist ein frommer Mann. Für mich ist der Mann nichts mehr wert!‘ Der Ärger dieser Frau in Sinop am Schwarzen Meer entzündet sich an einer Delegation, die gerade aus Ankara gekommen ist. Die soll im Namen Erdogans die Meinungsmacher und Funktionäre der Stadt auf den Friedensprozess einstimmen: Da werden hinter unserem Rücken schmutzige Verhandlungen geführt, sagt dieser Mann in Aksaray. Und dann schicken sie einen so genannten Weisenrat zu uns, alle vom Ministerpräsidenten ausgesucht und damit beauftragt, uns zu überrumpeln!‘
Szenen wie diese werden im Türkischen Fernsehen nicht gezeigt. Nicht einmal bei eher regierungskritischen Sendern. Doch die Missstimmung gegen die Verhandlungen mit der PKK sei viel geringer, als sie aufgrund der Umstände sein könnte meint der Meinungsforscher Murat Somer von der Koc Universität. Besonders auf Alltagsebene gebe es wenige Ressentiments zwischen der türkischen und der kurdischen Volksgruppe: Wenn man bedenkt, dass dieser Konflikt bereits 40.000 Menschenleben gekostet hat, muss man eigentlich feststellen, dass die Abneigung der beiden Gruppen viel geringer ist als man erwarten könnte, und als es unter vergleichbaren Umständen vielleicht anderswo wäre.‘
Murat Somer hat in den letzten Jahren die Stimmungslage der türkischen wie der kurdischen Bevölkerung genau erforscht. Dabei ist auch aufgefallen, dass mehr als 8 von 10 Türken den Kurden-Konflikt auf die Einmischung des Westens zurück führen. Dieser Hang zu Verschwörungstheorien könnte jetzt sogar einen Vorteil haben, sagt der Meinungsforscher: Denn kaum jemand würde die kurdische Kultur mit der türkischen für unvereinbar halten.
Und doch würde die schwierigste Phase erst kommen, nach dem Abzug der PKK: ‚Aus der Sicht der meisten Türken würde es genügen, den Kurden ein paar kulturelle Rechte zuzugestehen, um das Problem zu lösen, vielleicht ein bestimmtes Maß an Dezentralisierung. Für die Mehrheit der Kurden
geht es aber darum, dass sie in der türkischen Verfassung ausdrücklich als Nation anerkannt werden. Damit wird aber das Identitätsgefühl
vieler Türken in Frage gestellt, so wie es sich nun einmal bei uns entwickelt hat.‘
Die Angst um das bisherige Türkische Nationalgefühl schwingt auch mit, wenn die von Erdogan entsandten Friedensbotschafter mit einem Meer türkischer Fahnen begrüßt werden: ‚Die reden hier wieder hinter verschlossenen Türen mit Leuten, die nicht unsere Meinung vertreten. Unsere Antwort ist: Wie stolz bin ich ein Türke zu sein!‘ Das Zitat stammt von Atatürk und ist im ganzen Land zu lesen.
Dass sich ein jahrzehntelang eingeübter Nationalismus nicht innerhalb weniger Monate neu erfinden lässt, glaubt auch der Politologe und Meinungsforscher Murat Somer: ‚Einerseits brauchen wir Zeit um diese unterschiedlichen Auffassungen von Nation in einem Kompromiss zusammen zu bringen. Andererseits sind die Erwartungen derzeit so hoch, besonders bei den Kurden, dass uns eigentlich nicht viel Zeit bleibt.‘
Regierungschef Erdogan hat genau ein Jahr Zeit. Denn im nächsten Mai sind Präsidentenwahlen. Und da braucht er genügend türkische und kurdische
Stimmen.