Türkische Gewerkschaft vor Streik

Die türkische Regierung gerät immer mehr unter Druck. Nach tagelangen Protesten im ganzen Land gegen die brutalen Methoden der Polizei schließt sich jetzt auch die Gewerkschaft der Öffentlich Bediensteten der Protestbewegung an.

Mittagsjournal, 4.6.2013

Erdogan in Marokko

Mehr als 1.400 Menschen wurden bei den Zusammenstößen zwischen Polizei und Demonstranten verletzt. Ein junger Mann starb durch Polizeikugeln in der Stadt Mersin, ein Anderer wurde in Istanbul von einem Wagen getötet, der mit Vollgas gegen eine Gruppe Demonstranten fuhr. Offenbar aus Angst, es könnte bald weitere Märtyrer geben, hat in Ankara nun zum ersten Mal so etwas wie Krisenmanagement eingesetzt. Staatspräsident Gül hat heute den stellvertretenden Regierungschef Arinc zu sich gebeten. Bezeichnend, dass ein solches Gespräch erst möglich wird, wenn Recep Tayyip Erdogan, der sogenannte starke Mann der Türkei, gerade im Ausland ist.

Für den Regierungschef handelt es sich um eine aus dem Ausland gesteuerte Bewegung, hinter der im Land nur Randgruppen stehen. Bis zu seiner Rückkehr aus Marokko am Donnerstag werde alles vorbei sein, prophezeit Erdogan.

Schwache Gewerkschaften

Doch der Druck auf die Regierung steigt von Tag zu Tag. Heute hat die Gewerkschaft der Öffentlich Bediensteten ihre rund 200.000 Mitglieder zu einem zweitägigen Streik aufgerufen, aus Protest gegen den autoritären Kurs der Regierung. Eine größere Streikbewegung zu organisieren, die auch Fabriken erfasst, wird schwierig. Die meisten Arbeiter sind nicht gewerkschaftlich organisiert. Besonders in ausländischen Konzernen in der Türkei kann Mitgliedschaft bei einer Gewerkschaft ein Entlassungsgrund sein. Eines der kleinen Geheimnisse des großen türkischen Wirtschaftswunders.

Aber auch in einigen Provinzverwaltungen gärt es bereits, besonders dort wo nicht die AKP regiert sondern die große Oppositionspartei CHP. So hat sich der Bürgermeister von Antalya geweigert, der Polizei Wasser für ihre jetzt so häufig eingesetzten Wasserwerfer zu geben. So musste der Gouverneur der Provinz intervenieren, der ja nicht gewählt ist, sondern von Ankara eingesetzt wird.

Lücken in Berichterstattung

Die türkischen Medien suchen einen Mittelweg zwischen Information und Selbstzensur. Zwar wird jetzt ausführlich über Zusammenstöße zwischen Demonstranten und Polizei berichtet. Dabei werden aber meist radikale Gruppen gezeigt, die den Polizisten Straßenschlachten liefern. Die große Masse friedlicher Demonstranten, die sich jeden Tag nach der Arbeit sammelt und gemeinsam die Nacht durchhält, die kommt in den Medienberichten selten vor.

Auch dass immer wieder ganze Bezirke von Hubschraubern aus mit Tränengas eingenebelt werden, erfährt man nicht aus den großen Medien. Nur der alternative Fernsehkanal Halk TV – wörtlich übersetzt als Volksfernsehen – berichtet rund um die Uhr live von allen Brennpunkten des Geschehens. Ist aber überwiegend nur übers Internet zu empfangen.