Riskantes "Hirndoping"
Unter Zeit- und Leistungsdruck greifen immer mehr Menschen zu leistungssteigernden Mitteln - also nicht nur zu Kaffee, Energy-Drinks oder Schokolade, sondern zu "Gehirndopings". Psychopharmakologen warnen, und der "Zeitforscher" Karlheinz Geißler rät, sich wieder mehr Zeit zu nehmen und - zu verzichten.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 5.7.2013
Nadja Elgendy und Barbara Daser
Körper zeigt Grenzen
Rund um die Uhr 100 Prozent geben, nie müde sein und immer mehr Leistung erbringen in kürzerer Zeit: was übermenschlich klingt, versuchen manche mit Gehirndoping zu erreichen; Dabei werden Medikamente zweckentfremdet - zum Beispiel Antidepressiva geschluckt obwohl gar keine Depression vorliegt, oder Alzheimer-Präparate von Gesunden genommen. Die Idee dahinter: durch leistungssteigernde Substanzen könne das Gehirn mehr Informationen in kürzerer Zeit aufnehmen. Dazu Harald Sitte, Professor für Psychopharmakologie an der Medizinischen Universität Wien: Zwar steige die Leistung, aber es steige auch die Fehleranfälligkeit, dazu kämen Schlafprobleme und Herzstörungen und im Extremfall auch Psychosen. Die größte Nebenwirkung sei aber die Selbstüberschätzung, so der Psychopharmakologe. Man glaube, alles leisten zu können, irgendwann zeige der Körper jedoch die Grenzen.
Wachsendes Phänomen
Wie oft Gehirndoping in Österreich und auch weltweit genützt wird - darüber gibt es keine Zahlen. Doch Pharmakologen aus den USA, wo es stärker verbreitet scheint, gehen davon aus, dass immer mehr Managerinnen, Studenten, aber auch Wissenschaftler/ Wissenschaftlerinnen mit Medikamenten nachhelfen. Das sei mit Leistungsdruck in der Gesellschaft zu erklären, so Fachleute.
Auch zeigt die aktuelle IMAS-Umfrage, bei der mehr als 1.000 Personen in Österreich befragt wurden, dass viele mit der Schnelllebigkeit nicht mehr zurecht kommen. Ständig das Gefühl keine Zeit zu haben, sei damit zu erklären, dass Zeit in Geld umgerechnet werde, sagt der deutsche Zeitforscher Karlheinz Geißler. Dabei sei es wichtig, diese "Zeitverdichtung" auf die Ökonomie zu begrenzen und nicht auf das gesamte Leben, die Freizeit, Familie und Freundschaft.
Ratschlag: Abschalten
Vor allem digitale Medien wie Smartphones haben einen starken Einfluss auf unser Leben. Hat man früher mit den Arbeitsgeräten, wie dem Computer, nur am Arbeitsplatz gearbeitet, haben wir diese Instrumente nun auch zu Hause. Mit Laptop und Handy greift das Berufsleben auf unser Zuhause über. Etliche Ratgeber beschäftigen sich mit dem Thema "Zeitmanagement", doch für den Zeitforscher ist klar: Zeit lasse sich nicht "managen", aber man könne die Organisation "organisieren". Seine Lösung: Verzichten. Und das heißt nicht alle Zeit in Geld zu verrechnen, sprich zum Beispiel nicht permanent beruflich erreichbar sein. Und ab und zu - und das in jeder Hinsicht - einfach mal "Abschalten".