Politkowskaja-Mord: Justizfarce prolongiert

Fast sieben Jahre nach dem Mord an der russischen Journalistin Anna Politkowskaja stehen ab heute fünf Tatverdächtige vor einem Moskauer Gericht. Die Familienangehörigen der ermordeten Journalistin kritisieren den Prozess als Farce und politisch voreingenommen. Tatsächlich scheint es nach mehreren Gerichtsverfahren im Fall Politkowskaja immer unwahrscheinlicher, dass die wahren Drahtzieher des Mordes je ans Licht kommen.

Mittagsjournal, 24.7.2013

Fünf Angeklagte

Im Oktober 2006 wurde die Journalistin Anna Politkowskaja erschossen- im Treppenhaus ihres Wohnhauses in Moskau. Sie hatte sich durch ihre kritischen Berichte über schwere Menschenrechtsverletzungen in der ehemaligen Kriegsregion Tschetschenien einen Namen gemacht - und auch viele Feinde, die die preisgekrönte Journalistin und scharfe Kritikerin von Präsident Putin loshaben wollten.

Heute sitzen fünf Tatverdächtige auf der Anklagebank des Moskauer Stadtgerichts: ein ehemaliger Moskauer Polizist und vier Tschetschenen. Der Hauptverdächtige Lom-Ali Gaitukajew soll den Mord organisiert und dafür 150.000 Dollar erhalten haben. Neben ihm drei Brüder: Rustam, Ibrahim und Dschabrail Machmudow. Rustam soll die Schüsse auf Politkowskaja abgefeuert haben. Mehrere der Angeklagten stehen nicht das erste Mal vor Gericht. Sie wurden 2009 aus Mangel an Beweisen frei gesprochen. Als Hauptzeuge sagt ein weiterer ehemaliger Polizist aus, der schon zu elf Jahren Haft verurteilt wurde, weil er die Mordwaffe besorgt hatte

Protest der Familie

Der Prozess beginnt mit einem Skandal: Der Sohn und die Tochter von Anna Politkowskaja boykottieren das Verfahren. Es sei schon vor Beginn illegitim, kritisiert der Sohn der Journalistin, Ilja Politkowswki, in einem Zeitungsinterview. Das Gericht habe die 12 Geschworenen ausgewählt, ohne die Familienangehörigen des Mordopfers mit einzubeziehen. Dazu der Chefredakteur der regierungskritischen Zeitung Nowaja Gaseta, für die Politkowskaja geschrieben hat, Dmitri Muratow: "Die Auswahl der Geschworenen ist sehr wichtig, trotzdem hat das Gericht sie ohne die Kinder von Anna Politkowskaja bestimmt. Diese können terminbedingt derzeit nicht in Moskau sein." Doch das Gericht habe sich geweigert, den Prozessbeginn um einige Tage zu verschieben, so Muratow. "Wir haben kein Vertrauen in eine solche Fast-Food-Justiz, die allein dem Richter in den Kram passen muss."

Drahtzieher bleiben verborgen

Tatsächlich dürfte der Prozess nur ein weiteres Kapitel im schier unendlichen Fall Politkowskaja sein. Mehrere Verfahren fanden schon statt, sie fielen durch schlampige Ermittlungen und die offensichtliche Verbandelung von kriminellen Kreisen, Polizei und Justiz auf. Nicht durch den Willen, den Mord aufzuklären. Zudem sind Angeklagten nicht die Hauptfiguren in der traurigen Justizposse. Bis heute sind die eigentlichen Drahtzieher des Mordes unbekannt, der längst zum Symbol für die Verfolgung regierungskritischer Journalisten in Russland geworden ist. Stecken Kriminelle hinter der Bluttat, oder der tschetschenische Machthaber Ramsan Kadyrow? Oder gar Präsident Putin selbst, dessen Tschetschenien-Politik Anna Politkowskaja immer wieder scharf kritisiert hatte? Fragen, die weiterhin offen bleiben.