Expertenvorschlag: Bildungspflicht statt Schulpflicht

Die neun Jahre Schulpflicht in Österreich sollen durch eine Bildungspflicht ersetzt werden. Dieser Vorschlag jener Experten, die jedes Jahr den Integrationsbericht für Österreich verfassen, ist am Wochenende bekannt geworden. Wer nach der Pflichtschulzeit die Mindeststandards in den Bereichen Lesen, Schreiben und Rechnen nicht erfüllt, muss länger in der Schule bleiben, maximal bis er oder sie 18 Jahre ist.

Morgenjournal, 5.8.2013

Versäumtes nachholen

Nach Ende der Schulpflicht kann ein Viertel nicht sinnerfassend lesen und ein Fünftel nicht ausreichend rechnen. Das Problem trifft nicht nur Migranten, allerdings ist bei ihnen der Anteil der Schulabbrecher deutlich höher. Das Expertengremium, das den Bericht im Auftrag von Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz (ÖVP) erstellt, hat nun die Einführung einer Bildungspflicht vorgeschlagen. Die Idee sei grundsätzlich gut, denn eine Reform sei dringend notwendig, sagt die langjährige AHS-Direktorin Heidi Schrodt von der Initiative "Bildung grenzenlos".

Je später man etwas lernt, desto schwieriger wird es. Deshalb sei die Förderung vor der Schule wichtig, sagt Heidi Schrodt. Und auch die Experten im Integrationsbericht betonen, wie wichtig die Sprachförderung ist und dass ein zweites verpflichtendes Kindergartenjahr notwendig ist. Aber was davor versäumt wurde, soll man trotzdem nachholen - spät, aber nicht zu spät.

Noten nicht aussagekräftig

Allerdings müsste man mit dem neuen Modell auch die klassischen Schulnoten ändern, sagt Heidi Schrodt. Denn selbst gute Noten sagten oft nichts darüber aus, ob die Schüler sinnerfassend lesen können und die Qualifikation für eine Lehrstelle erfüllen. Schrodt äußert sogar die Vermutung, dass bessere Noten "hergeschenkt" werden, in der Hoffnung, dass die Jugendlichen dann leichter Lehrstellen finden.

Keine Zwangsmaßnahme

Wichtig sei auch, dass die jungen Menschen wissen, dass sie eine Chance bekommen, wenn sie länger in der Schule bleiben müssen. Heidi Schrodt verweist auf Schweden: Da endet die offizielle Schulpflicht mit 16 Jahren, aber das Recht auf Schule gibt es bis 19 Jahre, und 98 Prozent bleiben auch in der Schule. Das Bildungsangebot sollte auch als "erstrebenswert" angeboten werden, und nicht als Zwangsmaßnahme, so Schrodt: "Wenn man ohnehin nicht gerne in die Schule gegangen ist, muss man noch drei Jahre länger bleiben - da wird die Motivation gering sein. Aber grundsätzlich sollten wir als wohlhabende Nation darauf schauen, dass unsere Jugendlichen die Schulen als gebildete Menschen verlassen."

Günstige Gelegenheit?

75.000 junge Menschen in Österreich haben derzeit keine Schulausbildung und lernen keinen Beruf - auf dem Arbeitsmarkt ist es für sie extrem schwer, darauf weisen auch die Experten im neuen Integrationsbericht ausdrücklich hin. Bessere Bildung und Qualifikation könne da sicher helfen, sagt Heidi Schrodt. Viele Betriebe würden auch dazu übergehen, ihre Lehranfänger selbst weiterzubilden.

Eine Reform der traditionellen Schulpflicht haben auch die Sozialpartner im Februar gefordert, auch sie haben Mindeststandards in Deutsch und Mathematik als Grundvoraussetzung genannt. Die Chancen, dass etwas geändert wird, seien also jetzt ganz gut, sagt Heidi Schrodt.

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