Bildungspflicht: Aufzäumen am falschen Ende

Ein heftig diskutiertes Detail des Integrationsberichts ist die Bildungspflicht. Pflichtschulabsolventen, die nicht ausreichend lesen, schreiben und rechnen können, sollen bis zu drei Jahre länger in die Schule gehen. Bildungsexperten sagen, das sei wirtschaftlicher und pädagogischer Unsinn. Wer schlecht ausgebildete Schulabgänger verhindern wolle, müsse früher ansetzen.

Mittagsjournal, 6.8.2013

Unnötige "Extrarunden"

Die vorgeschlagene Bildungspflicht sei "eine Verlängerung des Elends" und noch dazu teuer, stellt Stefan Hopmann vom Institut für Bildungswissenschaft an der Uni Wien fest. Er sieht in dem Vorschlag "die falsche Antwort auf ein richtiges Problem". Die betroffenen Jugendlichen "Extrarunden drehen zu lassen", sei bestenfalls eine Entlastung des Arbeitsmarktservice, löse das Problem aber nicht. Kinder sinnvoll zu fördern müsse in der Volksschule, besser noch im Kindergarten beginnen, sagt Stefan Hopmann. Förderung in der Volksschule koste einen Bruchteil dessen, was sie später kostet. Aber dafür brauchten die Kindergärten viel besser ausgebildetes Personal, so der Bildungsforscher. Die Kinder müssten von Anfang an beobachtet, ihre Sprachentwicklung und ihr Mathematik-Verständnis von Anfang an gefördert werden.

Keine Betreuungsstandards

Auch Susanna Haas von der St. Nikolaus-Kindertagesheimstiftung ärgert sich, dass Konzepte da sind, aber nicht umgesetzt werden. Bei der vor kurzem beschlossenen Lehrerausbildung zum Beispiel waren die Kindergartenpädagoginnen nicht dabei, und bis heute ist österreichweit nicht einheitlich definiert, welche Qualitätsstandards in der Betreuung gelten. Bei mehr als 25 Kindern in der Gruppe sowie nicht genügend ausgebildeten Pädagoginnen gebe es keine adäquate Betreuung für Dreijährige.

Wenn Kinder früh gefördert werden, gebe es weniger Jugendliche, die nach ihrer Schulzeit nicht ausreichend lesen, schreiben und rechnen können, ist Susanna Haas überzeugt. Das Geld wäre gut investiert und käme bestimmt den Talenten der Kinder zugute. Doch derzeit konzentriere sich die Politik auf die Diskussion über Gesamt-, Ganztags- und Mittelschule, kritisieren die Experten. Andere Bereiche würden weitgehend ignoriert.