Ägypten: Abstimmung über Verfassung

Die ägyptische Militärregierung hat das Volk aufgerufen, heute und morgen über eine neue Verfassung abzustimmen. Die inzwischen verbotene Muslimbruderschaft hat zum Boykott aufgerufen. Damit ist Ägypten weit entfernt davon, die politische Polarisierung zu überwinden.

Morgenjournal, 14.1.2014

Militär und Justiz ohne Kontrolle

Es gibt kaum eine größere Straße in Kairo, in der man den Schildern und Plakaten entkommt, die für eine Ja-Stimme zum Verfassungsentwurf werben. Es bestehen kaum Zweifel, wie die Abstimmung ausgehen wird, wenn man auf der Straße herumfragt. Die meisten hegen eine diffuse Hoffnung, das am Tag nachdem die Verfassung in Kraft tritt einfach alles besser wird, obwohl das Land von einer politischen Aussöhnung weit entfernt ist.

Und der Verfassungsentwurf selbst? Der junge Politologe und Menschenrechtler Amr Abdel Rahman hat ihn analysiert. "Es besteht kein Zweifel, dass der Grundrechtekatalog besser ist, als alles was wir bisher in Ägypten erlebt haben. Aber die neue Verfassung gibt zwei wichtigen Institutionen einen großen Spielraum, womit der Grundrechtekatalog fast wieder ausgehebelt wird. Die Militär und die Justiz bilden zwei geschlossene Systeme, die von keiner gewählten Institution kontrolliert werden.“

Ein Viertel der Wähler ausgeschlossen

Wer Verteidigungsminister wird, werden beispielsweise in den nächsten acht Jahren die Generälen unter sich ausmachen. Und auch die Verfassungsrichter bestimmen ihre Nachfolger unter sich. Das größte Problem, glaubt Abdel Rahman aber, seien die Umstände, unter denen das Referendum stattfindet: "Der erste Faktor ist, dass der Staat jeglichen Dissens unterdrückt. Es werden Leute festgenommen, weil sie für Nein-Stimmen werben. Und in den Medien gibt es keine offene Diskussion."

Doch es ist der Ausschluss der Muslimbrüder, der das Referendum für den Politologen besonders problematisch macht. Die Muslimbrüder wurden zur Terrororganisation deklariert. Sie können nicht öffentlich mobilisieren und haben ihre Mitglieder zum Boykott aufgerufen. "Es gibt eine unglaubliche politische Polarisierung. Wir sprechen von einer ausgeschlossenen politischen Strömung, die mindestens ein Viertel der Wählerschaft ausmacht. Das hat natürlich Auswirkungen auf die Legitimität der Verfassung", erklärt der Politologe.

Gegner werden festgenommen

Wir haben eine Gruppe von Jugendlichen begleitet, die es gewagt hat, nachts Plakate zu kleben, auf denen sie für ein Nein zum Verfassungsentwurf werben. Schnell ziehen sie von einer Wand zur anderen. Einer von ihnen erklärt seine Motivation: "Man sagt uns staatlicherseits wir müssen für ja stimmen. Sie sagen, so zu stimmen sei Teil des Kampfes gegen den Terrorismus. Solche Dinge haben wir schon zu Mubaraks Zeiten gehört. Man kann nach einem Militärputsch keine legitime Verfassung aushandeln“.

Am nächsten Tag an der gleichen Stelle: Von den Nein-Plakaten ist keine Spur mehr übrig. Kurz nachdem wir die Jugendlichen am Abend verlassen hatten, wurde einer von ihnen von der Polizei festgenommen. Er habe gegen die Verfassung mobilisiert, lautet die Anklage ihn. Dabei soll über die eigentlich erst abgestimmt werden.