Sachwalterschaft: Experten teilen Kritik der Richter
Fast 60.000 besachwaltete Bürgerinnen und Bürger leben in Österreich. Der Versuch, diesen Menschen möglichst lang Selbstbestimmung und Selbstständigkeit zu erhalten, scheitert zunächst an den finanziellen Mitteln und dem Einsatz von Sozialarbeitern, erklären nach den Familienrichtern auch Experten. Sie kritisieren das Modellprojekt des Justizministeriums.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 07.04.2014
Unterstützung zur Selbstbestimmung
Unterstützung zur Selbstbestimmung heißt das Projekt von Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP). Bevor die Gerichte ihre Entscheidung fällen, müssen sie verbindlich Sozialarbeiter einschalten, um so eine Sachwalterschaft möglichst lange zu verhindern. Nur dafür fehlen ausreichend Mittel und Personal, und ohne mehr Geld wird sich für die Betroffenen gar nichts ändern, kritisieren die Familienrichter. Und auch Peter Schlaffer vom Vertretungsnetz, dem größten Sachwalterverein Österreichs, der Brandstetters Projekt umsetzt, sagt: "Es gibt sicher viel zu wenig Personal, wenn man das flächendeckend anbieten will."
Mehr Personal gefordert
Mindestens zehnmal mehr Personal für Clearing, also den Versuch Sachwalterschaften zu verhindern, fordern die Richter. Peter Schlaffer vom Vertretungsnetz will sich noch nicht festlegen: "Also das würde ich erst dann beantworten, wenn wir wissen, wie das Modellprojekt verlaufen ist. Aber zweifellos: Wenn man diese neue Form des Clearings österreichweit praktizieren will, dann braucht es natürlich einen wesentlich höheren Personaleinsatz."
Mehr Sozialarbeit in Ländern und Gemeinden
Und auch Marianne Schulze vom Monitoringausschuss zur Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung sagt: "Grundsätzlich ist es richtig, dass es für die Verwirklichung der unterstützten Entscheidungsfindung ein Mehr an Ressourcen braucht," aber, so Schulze, statt die Hilfe für Betroffene nur beim Justizministerium anzusiedeln, wäre mehr Sozialarbeit in Ländern und Gemeinden nötig: "Unterstützte Entscheidungsfindung, d.h. ein Wegkommen von der Sachwalterschaft, ist sehr wohl möglich, wenn die Ressourcen von der schwerpunktmäßig rechtlichen Ebene in Richtung gemeindenahe, soziale Ebene verschoben werden."
Kostenlose Vereinssachwalter notwendig
Und auch Peter Schlaffer vom Vertretungsnetz sieht die Länder gefordert: "In früheren Jahren gab´s viel mehr sozialarbeiterische Angebote, zum Beispiel von Krankenanstalten, die dann dafür gesorgt haben, dass Menschen, die unter Umständen nicht mehr zuhause wohnen können, an einen entsprechenden Pflegeplatz vermittelt werden können. Jetzt wird sehr rasch eine Sachwalterschaft angeregt, und damit ist es ein Thema für die Justiz. Idealerweise könnte man das schon früher abfangen." Er würde sich mehr Sozialarbeiter im Vorfeld wünschen. Und Schlaffer wünscht sich auch mehr Vereinssachwalter, die die Betroffenen im Gegensatz zu beauftragten Rechtsanwälten nichts kosten: "Es ist natürlich hoch erfreulich, wenn die Familienrichterinnen sich mehr Vereinssachwalterinnen und -sachwalter wünschen, weil wir österreichweit gerade einmal 15 Prozent der Sachwalterschaften abdecken können." Und das, so der Experte, sei für eine qualitätsvolle Sachwalterschaft sicher zu wenig.