Experte warnt vor Zerfall der Ukraine

Die Ukraine darf nicht zu einem Schlachtfeld der Geopolitik werden, warnt der russische Historiker Alexei Miller. Der Westen müsse versuchen gemeinsam mit Russland eine Lösung für das Land zu finden. Eine weitere Stufe der Sanktionen gegen Moskau bedeute hingegen den endgültigen Zerfall der Ukraine.

Morgenjournal, 23.4.2014

Stabilisieren statt Krise schüren

Die Ukraine stehe kurz vor dem Kollaps, die lokale Währung Grivna hat 40 Prozent an Wert verloren und schon in den nächsten Wochen werden die Industriebetriebe mit der massenhaften Entlassung von Mitarbeitern beginnen, um selbst dem Konkurs zu entgehen, warnt der Historiker und Ukraine-Experte Alexei Miller, der an der Russischen Akademie der Wissenschaften und der Central European University in Budapest lehrt: "Als erstes müssen die EU, die USA und Russland anerkennen, dass sie alle diese Krise mitverursacht haben. Aus diesem paralysierten und instabilen Land ein Spielfeld der Geopolitik zu machen, kann zu nichts Gutem führen. Alle Kraft müsste jetzt darauf verwendet werden das Land zu stabilisieren, aber die Chance darauf ist sehr klein."

Lösung bei Putin

Als einen Auslöser der Krise sieht Miller die Nachbarschaftspolitik der EU, die keine Rücksicht auf die Interessen Russlands genommen habe. Ein weiterer Grund liegt in der Ukraine selbst. Die Bevölkerung bestehe aus drei großen Gruppen: Die ukrainisch-sprachigen Ukrainer, die russisch-sprachigen Ukrainer und die ethnischen Russen. Seit der Unabhängigkeit habe jede Regierung mindestens eine dieser Gruppen ausgeschlossen. Sollte der Westen jetzt eine dritte Stufe der Sanktionen gegen Russland starten, bedeute das den Zerfall der Ukraine - denn dann stehe Wladimir Putin nicht mehr als Verhandlungspartner zur Verfügung: "Die Frage ist jetzt, ob die großen Player, also quasi Lawrov und Kerry, Putin und Obama, zu einer Übereinkunft kommen können, und vor allem, ob sie wieder Vertrauen herstellen können. Das Vertrauen ist im Moment zerstört! Man muss mit Putin weiter an einer Lösung arbeiten - ich sage nicht mit Russland, sondern mit Putin, weil er alles entscheidet: eine Lösung, wie die Ukraine nach der Krise aussehen wird."

Weitere Verschärfung verhindern

Im Moment heize Putin die Lage in der Ostukraine an, gleichzeitig könne er wirtschaftlich und politisch kein Interesse haben, die Gebiete zu annektieren so wie die Krim: Er brauche eine autonome Ostukraine um das ganze Land weiter an Russland binden zu können. Auch die Stimmung in Russland sei aufgeheizt, meint Miller, der am Abend einen Vortrag beim Wiener Institut für die Wissenschaft vom Menschen halten wird.

Noch könnten Menschen wie er, deren Meinung nicht mit der vom Kreml vorgegebenen Linie übereinstimmt, frei arbeiten, aber: "Es besteht die Gefahr, dass sich das Land bei noch schärferen Sanktionen in ein geschlossenes Lager verwandelt, in dem jede abweichende Meinung als Hochverrat behandelt wird. Und das meine ich ernst."

Hoffnung setzt Alexei Miller auf den deutschen Außenminister Steinmeier, der meinte: Man müsse jetzt weniger an Sanktionen denken und mehr daran, wie man der Ukraine helfen könne.