"Belagerte Stadt": Slawjansk

Es vergeht kaum ein Tag, dass nicht über Kämpfe aus der ostukrainischen Stadt Slawjansk berichtet wird. Gestern herrschte in der 116.000 Einwohner zählenden Stadt eine Art Feuerpause, und auch die Straßen waren offen. Gelegenheit für eine Reportage aus der Stadt, die ukrainische Truppen bisher nicht erobern konnten oder wollten.

Blockierte Straße vor Slawjansk

(c) Pilipey, EPA

Mittagsjournal, 7.5.2014

Eine Reportage aus Slawjansk von

Barrikaden in der Vorstadt

Slawjansk liegt etwa zwei Autostunden von der Kreishauptstadt Donezk entfernt. Die Zufahrtsstraße Richtung Charkiw im Norden war gestern frei passierbar, sieht man von den vielen Kontrollposten ab, die die Aufständischen errichtet haben. Die mit Schlagstöcken und einigen Gewehren waffneten Männer verlangen, dass wir den Kofferraum öffnen und kontrollieren unsere Ausweise. Mit der von den Aufständischen in Donezk ausgestellten Journalisten-Akkreditierung geben sie sich zufrieden, und lassen uns weiterfahren. Auf dem Weg ins Stadtzentrum gibt es viele Barrikaden vor allem durch gefällte Bäume, Autoreifen und alle anderen brauchbaren Gegenstände. Vor einer Barrikade parkt ein schwarzer Jeep, auf der Fahrerseite gibt es einige Einschüsse. Warum der Fahrer getötet wurde, lässt sich nicht ermitteln.

Slawjansk hat 116.000 Einwohner, doch das Zentrum ist fast menschenleer aber unversehrt. Keinerlei Spuren von Gefechten sind zu sehen. Vor einem geschlossenen Geschäft stehen drei Personen, eine ältere Frau, deren Goldzähne wohl noch aus sowjetischer Zeit stammen, ein Mann mit einem Rad und ein jüngerer, korpulenter Mann. Er beschreibt die Lage so: "Im Stadtzentrum ist es ziemlich ruhig. Außerhalb natürlich nicht, weil in den zwei Vorstädten Simjonowka und Andrejewka Angriffe stattfinden. Wogegen gekämpft wird, kann ich nicht sagen, weil wir hier in Slowjansk alle für die Region Donbass sind. Wir wollen nicht, dass sich Russland oder ukrainische paramilitärische Milizen einmischen, wir in Slawjansk sind alle für den Frieden."

Schwierige Versorgungslage in ruhiger Stadt

Wenige hundert Meter weiter am Leninplatz kleben auf der Statue des Staatsgründers der verflossenen Sowjetunion Bilder gefallener Verteidiger der Stadt. Die Stadtverwaltung ist verbarrikadiert, alle Geschäfte geschlossen. Zu den wenigen Spaziergängern an diesem sonnigen Tag zählt Lena mit ihrem Bekannten. Zur Versorgungslage sagt sie: "Wir haben nur die Lebensmittel, die die Geschäfte auf Lager haben, weil die Zufahrtsstraßen alle geschlossen sind. Die Preise sind aber nur leicht gestiegen. Es gibt aber nur die Lager, die bei den Geschäften am Stadtrand vorhanden sind, doch die müssten natürlich aufgefüllt werden. Ich weiß nicht, wie das weitergehen wird, das ist sehr schlecht."

Lena ist Hausfrau und Mutter zweier Kinder. Die 35-jährige ist für die Abspaltung von Donezk von der Ukraine: "Ich will keine Ukrainerin mehr sein, nach den Ereignissen in Odessa. Wie kann man so etwas anstellen, Menschen bei lebendigem Leib verbrennen. Das ist doch nicht normal. Daher will ich eine eigenständige Republik mit eigener Regierung und Verfassung, die weder zur Ukraine noch zu Russland gehört."

Falsches Bild in den Medien

In der Nähe des Lenin-Platzes steht das Hotel Ukraina. Dort wohnen die Journalisten, die aus der Stadt berichten. Dazu zählt der Balkan-Korrespondent eines britischen Wochenmagazins, Tim Judah, der seit zehn Tagen in der Stadt ist. Den Widerspruch zwischen der Vorstellung von einem weitgehend zerstörten Slawjansk und der gestrigen Realität erklärt er so: "Es gibt ziemlich viel schlechten Journalismus und natürlich den Krieg der Medien. Vieles was über Twitter kommt, ist nicht wahr, weil einige Medien daran interessiert sind, die Ereignisse für ihre eigenen Zwecke aufzublasen. Viele westliche Journalisten kommen nur zum Stadtrand oder nur sehr kurz in die Stadt, auch daher bekommt man kein umfassendes Bild. Die Ukrainer haben eine Art Ring um die Stadt gezogen und rücken langsam aber sicher vor. Heute ist es ruhig, doch gestern gab es kurze aber heftige Gefechte."

Die genannte Zahl von 30 Toten, sei aber falsch; vielleicht fielen fünf Aufständische, und vier Ukrainer, sagt Tim Judah. Sicher ist damit nur, dass auch in Slawjansk wie in der gesamten Ostukraine, die Wahrheit das erste Opfer der ukrainischen Krise gewesen ist.