Deutsche Türken üben Kritik an Erdogan

Mit der Verhaftung von 25 Bergwerksmanagern hat die Türkei auf Kritik nach dem Grubenunglück in Soma reagiert. Ganz andere Töne gab es noch vor kurzem von Ministerpräsident Erdogan, der den Vorfall bagatellisiert und Demonstranten beleidigt hat. Das sorgt auch bei in Deutschland lebenden Türken für Ärger. Vor Erdogans Deutschlandreise am Samstag gibt es daher statt Begeisterung, wie beim letzten Besuch, scharfe Kritik.

Mittagsjournal, 19.5.2014

Aus Deutschland

"In Deutschland weht großer Gegenwind"

Ministerpräsident Erdogan hat einen guten Grund für seinen geplanten Auftritt in einer großen Sport- und Veranstaltungsarena in Köln. Bei der türkischen Präsidentschaftswahl am 10. August können erstmals auch außerhalb der Türkei lebende Türken ihre Stimme abgeben, und zwar im Ausland. Erdogan hat seine Kandidatur zwar noch nicht erklärt, es wird aber damit gerechnet, dass er zu den Präsidentenwahlen antreten wird und das möglicherweise sogar am Samstag, in Deutschland vor seinen Anhängern erklären wird.

Seit dem Wochenende mehren sich in Deutschland die Stimmen, die einen solchen Wahlkampfauftritt kritisieren. Darunter auch der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland Gökay Sofuoglu im ARD-Fernsehen: "So, wie man ihn kennt, wird er die Diskussion eher anheizen. Erdogan ist einer, der nicht einsieht, dass er Fehler macht; er entschuldigt sich nicht für seine Fehler, er macht da weiter, wo er aufgehört hat. Die deutsche Demokratie kann einen Erdogan ertragen, aber er muss natürlich auch ertragen, dass in Deutschland ein großer Gegenwind gegen ihn weht."

Grüne raten von Protest ab

Die Kölner Polizei bereitet sich auf einen Großeinsatz vor. Neben vielen tausend Anhängern werden auch mindestens 10.000 Gegendemonstranten erwartet. Der sozialdemokratische Kölner Oberbürgermeister Jürgen Roters sagt, ein solcher Wahlkampfauftritt so kurz nach dem Unglück mit den vielen Toten sei unangemessen, und er fordert Erdogan indirekt dazu auf, den Besuch abzusagen. Die stellvertretende CDU-Vorsitzende Julia Klöckner ruft die türkische Gemeinde zu einem Boykott der Veranstaltung auf. CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer sagt, Erdogan dürfe seine Wahlkampfschlachten nicht nach Deutschland verlagern. Der türkisch-stämmige Grünen-Chef Cem Özdemir kritisiert, mit seiner Reaktion auf das Grubenunglück in der Türkei verwandle Erdogan die tiefe Trauer vieler Türken in Wut.

Von Boykottaufrufen rät Özdemir heute früh in einem Telefoninterview mit dem Deutschlandfunk ab: "An wen richtet sich der Aufruf? Die, die gegen ihn sind, sind sowieso gegen ihn, da wird keiner dazukommen durch den Aufruf von Frau Klöckner. Und die, die ihn vergöttern und seine Anhänger sind und im Prinzip auch nicht mehr wahrnehmen, was es an Kritik an ihm gibt, die werden seine Fans bleiben und wahrscheinlich jetzt erst recht hinpilgern."

Seine Kritiker kann Erdogan in Deutschland nicht so bedrängen wie in der Türkei. Ihre Demonstrationen werden am Samstag von der Polizei geschützt und nicht verhindert werden.