Psychisch krank in Haft: Gutachten zu ungenau
Rund die Hälfte der knapp 900 Häftlinge mit psychischer Erkrankung oder Behinderung sind womöglich zu Unrecht im Gefängnis, befürchten Experten in Österreich. Ein Grund könnten zu ungenaue Gutachten über ihre Gefährlichkeit sein. Das Justizministerium will die Gutachter besser bezahlen, doch die Verhandlungen stocken.
8. April 2017, 21:58
Morgenjournal, 23.5.2014
"Knausrige" Fixsätze
Gerichtsgutachter in Wirtschaftsfällen kassieren zehntausende Euro. Psychologen werden nach Stundensätzen entlohnt. Nur die medizinischen Gutachter, die etwa entscheiden, ob jemand in eine Anstalt für sogenannte geistig abnorme Rechtsbrecher kommt, bekommen eine Pauschale: 194 Euro brutto, wenn das Gutachten besonders aufwendig ist, sagt der Psychiater Reinhard Haller. Die Folge: "Es ist tatsächlich so, dass die forensischen Psychiater nahezu ein aussterbender Beruf sind." Die Experten, die hochwertige Gutachten liefern, gehen uns aus, wird an manchen Landesgerichten bestätigt. Richter Helmut Krischan aus Graz: "Weil die Republik knausrig ist - mit fixen Sätzen, die an der Realität vorbei gehen."
Begutachtet in Minuten
Ein Maßnahmenvollzugshäftling hat bei einer Veranstaltung erzählt, wie dann die Gutachter-Arbeit aussehen kann. Es ging darum, ob er und andere noch gefährlich sind und in Haft bleiben müssen: "Nach fünf Minuten war er mit drei Leuten fertig. Er hat gefragt, wie geht es Ihnen, Sie schauen recht gut aus, wie geht es Ihnen in der Arbeit, aha, die schulischen Leistungen passen laut meinen Unterlagen, wie ich sehe, danke das war's. Wir sind dann zu unserem Betreuer, der hat gesagt, was macht ihr schon da, der Gutachter kommt gleich. Und wir sagen, nein, der war schon da."
Brandstetter will mehr zahlen
Auch eine Studie aus Deutschland habe forensischen Gutachten in Österreich vor ein paar Jahren ein verheerendes Zeugnis ausgestellt, sagt der Grün-Abgeordnete Albert Steinhauser. Auch wenn die medizinischen Gutachter inklusive Spesen und Aufwandentschädigungen derzeit manchmal auf 500 Euro brutto kommen, will Justizminister Wolfgang Brandstetter nun eine Reform der Entlohnung. Er hat schon vor dem Vernachlässigungsfall in Stein einen Gesetzesentwurf ausarbeiten lassen, der rund 100 Euro Stundenlohn vorsieht. Brandstetter: "Sie sollen so entlohnt werden, dass es der Verantwortung und der Schwierigkeit ihrer Aufgabe gerecht wird."
Verhandlungen mit Hauptverband
Die Justiz könnte demnächst mehr zahlen: "Dafür würde budgetär Sorge getroffen. Es ist derzeit aber nicht möglich, das umzusetzen, weil der Hauptverband der Sozialversicherungsträger gemeint hat, dass diese Honorarsätze auch für seinen Bereich gelten würden, und das sei derzeit budgetär nicht möglich." Es geht vor allem um medizinische Gutachten im Auftrag Pensionsversicherung darüber, ob jemand krankheitsbedingt in Frühpension gehen kann. Vom Hauptverband heißt es, die Honorargespräche seien doch erst angelaufen. Ärztekammer-Verhandler Johannes Zahrl ist optimistisch, dass die neuen Honorarsätze ab Anfang 2015 gelten werden. Und Minister Brandstetter sagt: "Noch habe ich Geduld, aber es muss hier auch rasch eine Lösung geben." Auch die Qualität der Gutachten dürfte besser werden. Zahlreiche Psychiater haben in den vergangenen Jahren jedenfalls eine neue Diplomausbildung für forensische Psychiatrie absolviert.