Ukraine: Keine Lösung ohne Verhandlungen

In der Ostukraine ist weitherhin kein Zeichen der Entspannung in Sicht. Dass die Armee ausgerechnet jetzt, kurz nach der Wahl des neuen ukrainischen Präsidenten Poroschenko, hart durchgreift, ist kein Zufall, sagt der Kiewer Politologe Wadim Karasjow. So könne bis zum offiziellen Amtsantritt von Poroschenko die Lage beruhigt werden. Eine Lösung der Krise sei ohne Verhandlungen mit Moskau aber undenkbar.

Morgenjournal, 31.5.2014

Aus Kiew

"Einmaliges Zeitfenster" bis zur Vereidigung

Der entschlossene Einsatz der Armee gegen die Separatisten sei bewusste Strategie, sagt der Kiewer Politologe Vadim Karasov. Denn bis zur Vereidigung des neuen Präsidenten stehe ein einmaliges Zeitfenster offen. Der alte Übergangspräsident Turtschinow sei noch nicht weg, Petro Poroschenko offiziell noch nicht im Amt: "Wenn der Anti-Terror-Einsatz gegen die Separatisten gelingt, werden alle diesen Erfolg dem neu gewählten Poroschenko zuschreiben und er befindet sich in einer Position der Stärke", meint Karasov. Gelinge der Einsatz nicht, könne Poroschenko die Verantwortung dem noch im Amt befindlichen Präsidenten zuschieben und nach seiner Vereidigung als Friedensbringer auftreten

Doch wird durch die Kämpfe gegen die Separatisten nicht ein militärisches Eingreifen Russlands provoziert? Nein, meint Karasov. Denn dies würde scharfe Sanktionen des Westens gegen die russische Wirtschaft und die völlige geopolitische Isolation Moskaus bedeuten. Verhandeln werde Poroschenko mit Russlands Präsidenten Putin aber müssen, denn der Schlüssel zur Lösung der Krise liege in Moskau. Die Außenpolitik der Ukraine müsse angepasst werden, meint Karasov, sie sei derzeit zu prowestlich. Die Ukraine sei aber stark mit Russland verbunden, wirtschaftlich und kulturell. "Die Ukraine ist geopolitisch für Europa das Tor zu Eurasien und für Eurasien das Tor zu Europa." Das müsse berücksichtigt werden.

Bundesrepublik Ukraine nach Vorbild Österreichs?

Der Zerfall des Landes könne verhindert werden, meint Politologe Vadim Karasov, der die Ukraine künftig als eine Art Bundesrepublik wie Österreich sieht. Nicht aber als eine Konföderation wie die Schweiz, wo die Kantone sehr große Vollmachten haben. Um den Osten nicht zu verlieren, müsse der neue Präsident auf die prorussische Bevölkerung dort zugehen: "Er muss neue Gouverneure in Lugansk und Donezk ernennen und dort Neuwahlen durchführen." Zudem, so Karasov, müsse die Zentralregierung in Kiew umgebaut werden, damit sie die Interessen aller Ukrainer abbilde. Es sei für den Osten unannehmbar, dass als Minister für humanitäre Fragen ausgerechnet ein Vertreter der Nationalistenpartei Swoboda tätig sei. Das sei ein großer Fehler.

Wenn Poroschenko die Ukraine erfolgreich auf Europakurs bringe, die Wirtschaft sich erhole und der Lebensstandard steige, würden auch die Bürger in der Ostukraine nicht mehr nach Russland drängen, ist Karasov überzeugt. Eine Herkulesaufgabe für den neuen Präsidenten, die nicht Monate, sondern wohl Jahre dauern wird.