Belgien: Fußball eint das Land

Die belgische Fußball-Nationalmannschaft ist als Geheimtipp zur WM nach Brasilien gefahren. Und die Roten Teufel, wie sich das Team nennt, haben es ins Viertelfinale geschafft. Da geht es heute gegen Argentinien. Die Erfolge im Fußball haben in Belgien ein ganz neues Gemeinschaftsgefühl geschaffen. Die niederländischsprachigen Flamen und die französischsprachigen Wallonen, die sonst eher getrennte Wege gehen, feiern gemeinsam auf den Fanmeilen.

Mittagsjournal, 5.7.2014

Ein Sommermärchen

Das belgische Sommermärchen findet eine Fortsetzung. Nach dem Sieg im Achtelfinale gegen die USA sind auf der Fanmeile im Brüsseler Stadtzentrum Schlachten-Gesänge einmal in Niederländisch dann wieder in Französisch zu hören. Von Flamen und Wallonen gemeinsam vorgetragen: Wir sind Belgier, deshalb unterstützen wir Belgien. - Unglaublich. Wir sind super.

Ganz Belgien ist derzeit schwarz, gelb, rot beflaggt - in Brüssel in der südlichen Wallonie und im nördlichen Flandern. Sieht man sonst vereinzelt Fahnen an den Fenstern, als Statement gegen die Separatisten im Land, scheint jetzt allerorts das Nationalgefühl zu triumphieren: Etwas ganz Neues, sieht der Politologe und Fußballfan Jean-Michel De Waele von der Freien Universität Brüssel.

Eine Generation aus dem Norden und dem Süden des Landes erlebt zur selben Zeit das Gleiche. Das erste Mal seit langer Zeit. Dieselben Helden und Stars, denselben Stress. Man hat etwas Gemeinsames.

Das Gemeinschaftsgefühl war noch vor knapp sechs Wochen weniger stark ausgeprägt. Bei den Parlamentswahlen wurde die NVA, die Neue Flämische Allianz stärkste Partei. Ihr Ziel ist ein immer loserer Zusammenhalt der Landesteile, langfristig ein unabhängiges Flandern. Ist das belgische Fußballteam der Roten Teufel jetzt der Garant für die Einheit?

Die Frankophonen sagen jetzt, dass die Roten Teufel die Retter Belgiens sind. Aber das ist doch verrückt. Denn das würde bedeuten, dass die Existenz Belgiens davon abhängt, ob jemand einen Elfmeter verwandelt oder nicht. Wenn das so wäre, dann hätten die Separatisten Recht. Dann hätten wir wirklich nichts gemeinsam.

Die wirtschaftlich erfolgreichen Flamen zahlen für die nachhinkende Wallonie. Permanentes Schmiermittel für die Separatisten.

Mit der Regierungsbildung ist NVA-Parteichef Bart de Wever, Bürgermeister der flämischen Metropole Antwerpen, ist mit der Regierungsbildung aber zunächst gescheitert. Denn ohne Mehrheit in beiden Landesteilen ist eine belgische Regierung chancenlos. Und die Christdemokraten in der Wallonie wollten von de Wever eine klarere Distanzierung vom Separatismus. Es dürfte wieder kompliziert werden. Beim letzten Mal hat die Regierungsbildung eineinhalb Jahre gedauert.

Der Fußball wird kurzfristig daran nichts ändern, sagt Jean-Michel De Waele. Und doch könnte der gemeinsame Rückhalt für die Roten Teufel, bei denen Flamen, Wallonen und die Söhne der Einwanderer spielen, längerfristig etwas anstoßen: Belgien kann funktionieren. Man sieht, es ist die Mischung, die Erfolg bringt. Und am Ende haben wir vielleicht mehr gemeinsam als wir selber denken.

Zunächst kann das belgische Fußballmärchen weitergehen. Zumindest bis heute Abend, bis zum Viertelfinale gegen Argentinien.