Traiskirchen: Zweifel an Asylstopp-Bescheid
Seit zwei Wochen gilt für das Asylwerber-Erstaufnahme-Zentrum in Traiskirchen ein Aufnahmestopp, verhängt per Bescheid der Bezirkshauptmannschaft auf Anweisung des niederösterreichischen Landeshauptmanns Erwin Pröll (ÖVP). Die Zahl der Asylwerber in Traiskirchen sank seither von 1.400 auf rund 1.000. Zweifel an dem Bescheid kommen nun aber vom Verwaltungsrechtsexperten Bernd-Christian Funk.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 14.8.2014
"Gefahr in Verzug" - nach eineinhalb Jahren
Der 17-seitige Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Baden ist vor allem am Anfang drastisch formuliert: Wegen "Gefahr in Verzug" ordnet die Bezirkshauptmannschaft "unaufschiebbare Zwangs- und Sicherheitsmaßnahmen" an, heißt es da. Konkret bedeutet das einen Betreuungsstopp für neu ankommende Asylwerber. Prinzipiell ist so ein Bescheid zulässig, sagt der Verfassungs- und Verwaltungsrechts-Experte Bernd-Christian Funk: "Es stellt sich allerdings die Frage, warum man darauf erst jetzt gekommen ist. Die Sachlage war ja schon längere Zeit bekannt, und damit die mögliche Gefahr."
Der Bescheid bezieht sich auf ein Gutachten aus dem November 2012, es liegt also schon eineinhalb Jahre in der Bezirkshauptmannschaft. Aber im Bescheid, der Ö1 vorliegt, wird argumentiert, die Sicherheitssituation habe sich im Juli durch die auf 1.400 angestiegene Zahl an Asylwerbern zugespitzt.
Tatsächlich ein Gewerbe?
Der zentrale Kritikpunkt in dem gewerberechtlichen Bescheid lautet: Es gebe kein ausreichendes Sicherheitskonzept für die Betriebsanlagen der Firma ORS. Sie betreut die Asylwerber mit rund 100 Mitarbeitern. Die im Bescheid genannten Betriebsanlagen beziehen sich auf Büroräume, einen Fitnessraum sowie eine Info- und Servicestelle samt Kiosk. Verwaltungsrechtler Funk meint: "Ob hier tatsächlich eine gewerbliche Tätigkeit und eine gewerbliche Betriebsanlage im Sinne der Gewerbeordnung besteht, das scheint zumindest fragwürdig zu sein. In Wahrheit sind das ja Aufgaben, die der Staat, sprich der Bund, selbst zu erfüllen hat."
Politische Motivation
Weil der Firma ORS im Bescheid die Betreuung von neu ankommenden Asylwerbern untersagt wurde, werden Neuankömmlinge nun auch tatsächlich von Mitarbeitern des Innenministeriums kurzfristig versorgt. Jugendliche darf ORS aber weiterhin betreuen. Für Bernd-Christian Funk ist diese Ausnahme nicht ganz nachvollziehbar, denn wenn eine solche Gefahrenlage bestünde, müsste sie für alle gelten. Funks Resümee nach dem Studium des 17-seitigen Bescheids: "Die Vermutung liegt auf der Hand, dass dieser Bescheid nicht ausschließlich juristische Ursachen und Motive verfolgt, sondern ein Instrument für eine größere politisch motivierte Aktion ist."
Dennoch meint der ehemalige Menschenrechtsbeiratsvorsitzende Funk, der Bescheid werde rechtlich wohl halten. Außerdem handelt es sich nur um einen vorläufigen Bescheid. Die Firma ORS konnte deshalb nur einen Mini-Einspruch einbringen, eine sogenannte Vorstellung. Erst wenn es einen endgültigen Bescheid gibt, könnte dann ein richtiger Einspruch beim Verwaltungsgericht erhoben werden. Politisch greift der Bescheid längst: Alle Bundesländer liegen nun bei einer Asylwerber-Aufnahmequote über 86 Prozent - 88 Prozent sind das offizielle Ziel.
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