Flüchtlingsdramen in Calais

Nach jahrelangem Nichtstun hat jetzt die französische Regierung beschlossen, sich des Flüchtlingselends in Calais anzunehmen. In den kommenden zwei Monaten soll es ein Tageszentrum für die Flüchtlinge von Calais geben und auch Mahlzeiten sollen finanziert werden. Die Hilfsorganisationen sind mit ihrer Arbeit bereits überfordert.

Flüchtlingszelte in Calais

(c) EPA/ETIENNE LAURENT

Mittagsjournal, 12.9.2014

Aus Calais,

In der nordfranzösischen Stadt Calais versuchen derzeit über 1.200 Flüchtlinge Nacht für Nacht nach Großbritannien zu gelangen. Sie probieren sich auf Lastwagen zu verstecken und so den Ärmelkanal zu überqueren. Doch nur wenigen gelingt die Überfahrt pro Woche. Und so warten die Migranten in notdürftig eingerichteten Zeltlagern in alten Fabriken und den Dünen von Calais auf ihre Chance. Seit mehr als 10 Jahren gibt es in Calais kein Flüchtlingslager mehr. Die Bürgermeisterin von Calais hat beim Staat schon mehrmals um Hilfe angesucht. Jetzt scheint sich etwas zu tun: der französische Innenminister Bernard Cazeneuve hat angekündigt in den kommenden zwei Monaten ein Tageszentrum für die Flüchtlinge von Calais einzurichten und die Verteilung von Mahlzeiten zu finanzieren, denn die Hilfsorganisationen sind mit ihrer Arbeit überfordert.

Cathrine Converti steigt durch ein Loch im Maschendrahtzaun, das eine Straße in der Nähe des Hafens von Calais von einem alten Fabrikgelände trennt. Die 69-Jährige ist freiwillige Helferin auf dem Gelände, wo einige hundert Flüchtlinge in selbstgebauten Zelten aus Holzpaletten und Plastikplanen wohnen: Zwanzig oder dreißig kommen jeden Tag neu hier an. Aber es schaffen jeden Abend weit weniger den Weg nach Großbritannien. Ich bin heute froh, weil ich Decken mitgebracht habe. Frustrierend ist nur, dass ich dreißig bräuchte, aber ich habe nur 12.

Es ist kühl und feucht Anfang Herbst in Calais. Viele Flüchtlinge aus Ostafrika sind das Klima nicht gewöhnt. Doch so wie Abdel aus dem Sudan haben sie nur ein Ziel: Großbritannien. Wir versuchen den Lastwagen nachzulaufen und uns in ihnen zu verstecken und hoffen, dass die Polizei uns nicht findet. Es ist sehr schwierig, viele von uns verletzten sich, manche brechen sich auch Arme oder Beine dabei.

Über 1200 Flüchtlinge leben zur Zeit in Parks, Fabriken, Wäldern von Calais. Sie prägen seit Jahren das Bild der Stadt und spalten die Meinung der Bewohner von Calais.

Ich bin keine Rassistin, aber ich habe von der Situation genug, man sollte etwas tun, sie zurück nach Hause schicken, ich fühle mich nichtmehr sicher, sagt Nathalie Fleury, die nicht weit vom sogenannten „Dschungel“ von Calais wohnt. Ihr Nachbar Clement Lejeune sieht das anders:
Ich habe nie Probleme mit ihnen gehabt, ganz im Gegenteil. Es kommen viele von ihnen hier vorbei, sie grüßen, mein Auto lasse ich immer draußen stehen, es ist nie etwas passiert.

Die konservative Stadtregierung von Calais sucht seit Jahren Unterstützung beim Staat. Die französische Regierung hat bisher abgelehnt ein Heim für Flüchtlinge zu bauen, aus Angst davor, es könnten noch mehr Migranten nach Calais kommen. Doch jetzt will der Innenminister Bernard Cazeneuve, zumindest ein Tageszentrum für die Flüchtlinge errichten. Für stellvertretende Bürgermeister von Calais Emmanuel Agius ein erster Schritt in die richtige Richtung.
Wir sind halb zufrieden. Die Bürgermeisterin von Calais ist bereit ein Tageszentrum für 400 bis 500 Flüchtlinge zu bauen, aber es muss auch im restlichen Frankreich welche davon geben. Und wir wollen, dass Groß Britannien auch einen Teil der Verantwortung übernimmt, die Grenzkontrollen müssen auf britischem Boden, nicht auf französischem sein.

Aus Großbritannien kam bisher nur ein Vorschlag: Calais könne die Absperrungen des Nato-Gipfels von vergangener Woche haben, um den Zugang zum Hafen von Calais zu erschweren. Die Bürgermeisterin von Calais bezeichnet den Vorschlag als zynisch und antwortet mit einer Drohung: sollte England nicht zusammenarbeiten, werde sie den Hafen von Calais für britische Schiffe blockieren.

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