Sozialkompetenz für Ärzte immer wichtiger

Für viele ältere und chronisch kranke Menschen reicht häusliche Betreuung jedoch nicht aus. Im Pflegekrankenhaus, dem Haus der Barmherzigkeit im 16. Bezirk in Wien, sind Patienten untergebracht, die rund um die Uhr intensive Betreuung brauchen. Hier ist vor allem von medizinischer Seite soziale Kompetenz gefragt.

Seit fünf Jahren kooperiert das Haus der Barmherzigkeit mit der Medizinischen Universität Wien, um Studienanfängern im Rahmen einer Lehrveranstaltung solche "soziale Kompetenzen" zu vermitteln.

Mittagsjournal, 7.10.2014

"Prägung" für Medizinstudenten

Kurz nach acht Uhr ist es noch relativ ruhig auf den Pflegestationen im Haus der Barmherzigkeit. Viele der Bewohner schlafen - zumindest für Spitalsverhältnisse - gerne etwas länger. Auf die individuellen Bedürfnisse der Patienten einzugehen, ist ein wichtiges Anliegen für die pflegenden und medizinischen Betreuer im Haus der Barmherzigkeit, erläutert der Direktor und ärztliche Leiter des Pflegekrankenhauses, Christoph Gisinger: "Wir kombinieren Lebensqualität, also gute Wohnqualität, dann Integration in die Nachbarschaft, und pflegerische, medizinische top Pflegequalität."

Seit fünf Jahren findet hier im Haus der Barmherzigkeit eine Lehrveranstaltung statt, die Erstsemestrigen des Medizinstudiums einen Einblick in den Pflegebetrieb geben soll. Im Rahmen einer Vorlesung, eines Seminars und eines Praktikums auf den Stationen sollen die angehenden Mediziner lernen, mit kranken und pflegebedürftigen Menschen einfühlsam zu kommunizieren. "Wir denken, dass die Ärzte der Zukunft zunehmend mit alten Menschen zu tun haben, mit Menschen die polymorbid sind, mehrere Krankheiten haben. Und wir glauben, so analog, wie der Konrad Lorenz seine Graugänsegeprägt hat, dass es sehr wichtig ist, dass die jungen Medizinstudenten gleich am Beginn geprägt werden, mit diesen Anforderungen, die sie hier kennenlernen können."

Tiefe Eindrücke

Die Studierenden sollen selbst erfahren, was es bedeutet, von der Hilfe anderer abhängig zu sein. Beim "Instant Aging", dem "Augenblicklichen Altern", tragen die Studenten beispielsweise Brillen, die ihre Sehkraft stark einschränken oder wattierte Handschuhe, die den Tastsinn verschlechtern. Bei der Medizinstudentin Eva Wallner hat diese Erfahrung tiefen Eindruck hinterlassen: "Ich glaube jeder kennt das, wenn man in einem Geschäft ist, und ein älterer Herr oder eine ältere Dame braucht recht lang an der Kassa. Aber wie wir das dann ausprobiert haben, wie sich das anfühlt, da hat man gleich viel mehr Verständnis und ich glaub, das sollte auch viel mehr Menschen klar werden.

Fünf Wochen dauert das Praktikum auf der Pflegestation, zwei Stunden pro Woche verbringen die Studierenden mit den Patienten, erzählt die Medizinstudentin Julia Halilovic: "Wir haben Spiele gespielt, wir haben Wörter gelernt, wir haben gebastelt, also jegliche Freizeitbeschäftigung. Wir durften eben auch rausgehen, wenn wir gefragt haben. Also ich bin oft rausgegangen mit dem Bewohner." 3.600 Studierende haben das Programm in Wien bereits absolviert, das auch international bahnbrechend ist.