Kurden fordern Grenzöffnung in die Türkei

Vor den Augen der Weltöffentlichkeit zeichnet sich in der syrisch-kurdischen Kobane an der türkischen Grenze ein Massaker ab: Radikale Islamisten sind dabei, den Widerstand der kurdischen Kämpfer zu brechen und die Stadt zu erobern. Dass die türkische Armee keine militärische Unterstützung für die Kurden zulässt, stellt den Friedensprozess zwischen Türken und Kurden auf eine harte Probe.

Morgenjournal, 11. Oktober 2014

Massaker vor den Augen der Weltöffentlichkeit

Die Rauchsäulen über dem Zentrum von Kobane werden immer dichter. Es besteht kein Zweifel daran, dass die Verteidiger der Stadt, die kurdischen Volksschutzeinheiten, auf dem Rückzug sind und die Dschihadisten bereits die Hälfte der Bezirke beherrschen. Noch sollen mehrere hundert Zivilisten in Kobane sein. Ein Massaker vor den Augen der Weltöffentlichkeit wird immer wahrscheinlicher. Und doch wird das, was sich derzeit in Kobane abspielt, je nach Beobachter sehr unterschiedlich beurteilt.

Für den türkischen Präsidenten Erdogan scheint es unabwendbar, dass Kobane bald fallen wird. Die kurdischen Verteidiger der Stadt sieht er aber als Mitschuldige an der syrischen Tragödie. Lange Zeit hätten sie den Diktator Assad unterstützt und hätten dafür von ihm kampflos das Grenzgebiet zur Türkei erhalten.

Ausgangssperre in Türkei

Die meisten Kurden in der Türkei sehen das anders. Erdogan würde Kobane im Stich lassen, weil er nach wie vor Islamisten bevorzuge, behaupten Anhänger der PKK. In den letzten Tagen sind in mehreren türkischen Städten Tausende auf die Straße gegangen. Fahrzeuge und Geschäfte wurden in Brand gesteckt, Polizeifahrzeuge mit Molotow-Cocktails beworfen. Mehr als 30 Tote in zwei Tagen und eine vorübergehende Ausgangssperre in fünf Städten. Das hat es in der Türkei schon seit vielen Jahren nicht mehr gegeben.

Was die kurdischen Demonstranten fordern, ist nicht ein türkischer Einmarsch in Syrien, sondern die Öffnung der Grenze für Waffenlieferungen an die kurdischen Kämpfer in Kobane. Diese Forderung soll von der türkischen Regierung sogar diskutiert worden sein, wurde dann aber von Erdogan persönlich abgelehnt. Der türkische Präsident und der Großteil des Militärs misstrauen der kurdischen PKK. Waffen, die heute an den syrischen Zweig der PKK geliefert werden, könnten morgen gegen die Türkei gerichtet sein.

Angst vor IS lässt Hilfe aus

Ankara wartet weiterhin die Eroberung der syrisch-kurdischen Stadt ab und hofft, dass PKK-Chef Öcalan trotz allem an den Friedensgesprächen mit Ankara festhält, mit deren Ende er gedroht hatte. Tatsächlich hat er nun die jugendlichen Demonstranten von seiner Gefängnisinsel aus zurückgepfiffen. Offenbar will sich die PKK jetzt auf den Kampf gegen die Dschihadisten konzentrieren und sich nicht auch noch mit dem türkischen Militär anlegen.

Aus der Sicht der USA ist die türkische Führung allerdings dabei, ihre eigenen Möglichkeiten zu überschätzen. Ranghohe amerikanische Militärs versuchen derzeit die Regierung Davutoglu zu einem aktiven Eingreifen in Syrien zu überreden. Offenbar gehen sie davon aus, dass die Türkei hoch pokert und ihre Schlüsselrolle in dem Konflikt nützen will, um ihr langjähriges Ziel zu erreichen, nämlich den Sturz von Baschar Assad in Damaskus. Sollte sich die Türkei schließlich doch dem internationalen Druck beugen, hat sie auch einiges zu verlieren. Kein anderes Land ist möglichen Terroranschlägen des Islamischen Staates so ausgeliefert. Selbst wenn die internationale Koalition sich eines Tages zurückzieht, bleibt die Türkei der Nachbar von Syrien und dem Irak.

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