Cartarescu in Leipzig ausgezeichnet

Mit einem Festakt im Gewandhaus wurde gestern Abend die Leipziger Buchmesse eröffnet. Im Rahmen der Feier wurde der Buchpreis zur Europäischen Verständigung verliehen - diesmal an den rumänischen Autor Mircea Cartarescu.

Ausgezeichnet wurde der 58-Jährige für seine "Orbitor"-Trilogie, die - ins Deutsche übersetzt - im Wiener Zsolnay-Verlag erschienen ist.

Morgenjournal, 12.3.2015

Zum Auftakt der Messe wurde - bereits traditionell - der mit 15.000 Euro dotierte "Buchpreis zur Europäischen Verständigung" vergeben. Er ging heuer an den rumänischen Autor Mircea Cartarescu. Ausgezeichnet wurde der 58-jährige für seine "Orbitor"-Trilogie.

"Menschheit in einem Tautropfen"

Von einem monumentalen, exzessiven und alle Grenzen sprengenden Prosa-Werk sprach die Jury, von einem einzigartigen Künstler-, Großstadt- und Universalroman. "Ich habe Literatur geschrieben, um in ihr zu leben", erklärte der so gelobte Mircea Cartarescu in seiner Dankesrede und führte weiter aus: "Mein ganzes Leben lang habe ich die Anatomie, Physiologie, Psychologie, die Verhaltensweisen, die Ethik, Ästhetik und Metaphysik eines einzigen menschlichen Wesens studiert. Ich habe das in der Hoffnung betrieben, in dem kleinen Universum meines Schädels könne sich wie in einem Tautropfen die ganze Menschheit spiegeln mit all ihren Tragödien und ihrem Leid, ihren Triumphen und Katastrophen, mit ihrem Irrwitz und ihrer Weisheit, ihren Helden und ihrem Elend."

Rumänien der 1960er Jahre bis 1989

14 Jahre hat Mircea Cartarescu an der "Orbitor"-Trilogie geschrieben; einer Trilogie, die als ausschweifende Chronik gelesen werden kann: über Rumänien im vergangenen Jahrhundert, vom Beginn der 1960er Jahre bis 1989. "Orbitor" - das ist ein furioser Parforceritt über 1.800 Seiten.

Cartarescu schöpft aus dem Fundus von Kulturgeschichte, Mythologie, Religion und Literatur und er taucht ein in einen Sog von Kindheitserinnerungen und bizarren Visionen, Surrealem und Satire, Alptraumhaftem und Szenarien aus dem realsozialistischen Rumänien: Armut, Hunger, Kälte, Angst, Verrat und Überwachung.

"Beklage Ausbruch des Irrationalen und der Paranoia"

Als der rumänische Autor, als "Rumäne vom Dienst" möchte er nicht gesehen werden, betonte Mircea Cartarescu gestern Abend. Er betrachte sich selbst vor allem anderen als europäischen Schriftsteller. "Ich erkenne jenes Drei-Zonen-Europa, bestehend aus einem zivilisierten Westeuropa, einem neurotischen Mittel- und einem chaotischen Osteuropa nicht an, weder geopolitisch noch kulturell, religiös oder sonst irgendwie. Mein Traum gilt einem vielgestaltigen, aber nicht schizophrenen Europa", sagt Mircea Cartarescu.

Und er fügt hinzu: Als Autor aus dem Osten des Kontinents, spüre er in diesen Tagen die ganze Spannung dieses Konflikts, der unsere Welt gefährdet: "Ich fühle es schmerzhaft, als wären mir die verschobenen Grenzen unmittelbar in die Haut tätowiert. Aus Leibeskräften beklage ich in einer Welt, die sich in einer Illusion von Stabilität einzurichten begonnen hatte, den neuerlichen Ausbruch des Irrationalen und der Paranoia."

Cartarescu appellierte an die Einigkeit Europas und an die Achtung der europäischen Werte: "Wir haben kostbare Dinge zu verteidigen: Demokratie, Toleranz, den skeptischen Geist, künstlerisches Genie, alles, was dazu beiträgt, dass Europa ein Kontinent der Zivilisation und der Kultur ist und bleibt."

Mit "Die Flügel", dem dritten Band seiner "Orbitor"-Trilogie wird Mircea Cartarescu an den kommenden Messetagen noch ein dichtes Programm absolvieren - und es wird auch hier in Leipzig weiter diskutiert werden - über Demokratie, Toleranz und europäische Verständigung.

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