Israel: Ausschreitungen in Tel Aviv

In Tel Aviv waren gestern Nacht einige Tausend dunkelhäutige Demonstranten auf der Straße. Es waren aus Äthiopien stammende Israelis, die zunächst friedlich demonstriert hatten – dann kam es aber zu dramatisch aussehenden Zusammenstößen mit der Polizei. Die äthiopischen Juden wurden in den 80er und 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts nach Israel geholt – sie klagen über Rassismus insbesondere bei der Polizei, darüber hinaus aber in allen Bereichen der Gesellschaft.

Mittagsjournal, 4.5.2015

Aus Tel Aviv,

In Israel fühlen sich aus Äthiopien stammende Juden diskriminiert, als Opfer von Rassismus. Über 100.000 äthiopische Einwanderer leben heute in Israel. Wie sie sich fühlen, wie sie in Israel behandelt werden, das drückt sich für viele äthiopische Einwanderer in einem Video aus, das nun an die Öffentlichkeit gelangt ist: man sieht Polizisten, wie sie einen äthiopisch-stämmigen israelischen Soldaten schlagen. Die Folge waren zunächst friedliche Proteste in Tel Aviv, die dann aber außer Kontrolle geraten sind.

Es wurden zwar keine Schusswaffen eingesetzt, aber das Zentrum von Tel Aviv erinnerte gestern Nacht für einige Stunden an ein Schlachtfeld. Was sich hier entlud, war der aufgestaute Zorn der dunkelhäutigen aus Äthiopien stammenden Israelis, es erinnerte entfernt an die Rassenunruhen in den USA. Eine ähnliche Demonstration hatte es schon vorige Woche in Jerusalem gegeben. In Tel Aviv hat es gestern Nachmittag relativ friedlich begonnen – äthiopische Juden blockierten Straßen, auch andere Israelis schlossen sich ihnen solidarisch an, die Polizei schaute im Wesentlichen nur zu. Doch am Abend wurde es auf dem Platz vor dem Rathaus plötzlich chaotisch. Demonstranten warfen Steine und Kaffeehaussessel auf Polizisten und kippten Polizeifahrzeuge um, die Polizei setzte Schreckgranaten und Wasserwerfer ein, berittene Kräfte galoppierten über den Platz. Das Ende war noch relativ glimpflich – rund 40 Leichtverletzte, einige Festnahmen, geringer Sachschaden.

Der Auslöser der Proteste war eine Videoaufnahme gewesen, die zeigt, wie ein junger äthiopischer Jude, ein Soldat der israelischen Armee, von Polizisten geschlagen wurde. Die äthiopische Volksgruppe beklagt, dass das irgendwie eine Norm sei – die Polizei würde immer wieder junge aus Äthiopien stammende Bürger grundlos anhalten und sogar schlagen. Darüber hinaus sei man allgemein als Dunkelhäutiger in der israelischen Gesellschaft benachteiligt, diskriminiert, man würde immer schief angeschaut: Die Proteste werden erst aufhören, wenn der Staat, die Regierung sich mit uns befassen wird, sagt einer der Demonstranten, mit dem, was uns jeden Tag passiert. Wir wollen Einheit, ein einziges Volk, wir wollen nicht anders sein, wir wollen uns wie Menschen fühlen.

Die äthiopischen Juden sind vor rund 30 Jahren in zwei großen Einwanderungswellen unter oft abenteuerlichen Umständen nach Israel gebracht worden – für viele wie ein Sprung aus der Steinzeit in die Moderne. Heute umfasst die Volksgruppe rund 140.000 Menschen, nicht ganz 2 Prozent der Bevölkerung. Manche habe es geschafft, sind etwa Politiker geworden oder Journalisten, aber insgesamt haben die äthiopischen Israelis einen großen Rückstand bei Bildung und Einkommen. Es gibt viel Rassismus und keine Chancengleichheit, sagt Pnina Tamano-Schata, die vor zwei Jahren als erste äthiopisch-jüdische Frau ins Parlament gewählt wurde: Die meisten stoßen an Mauern, das ist keine gläserne Decke, das sind eiserne Mauern, die man nicht überwinden kann.

Die äthiopischen Israelis haben keine einheitliche Führung und auch keine konkreten Forderungen – die Proteste sind spontaner Ausdruck eines Unbehagens. Allgemein haben Politiker aller Lager jetzt viel Verständnis für die Nöte der äthiopischen Volksgruppe gezeigt – aber ein Wundermittel gegen dieses tiefsitzende Gesellschaftsproblem wird es kaum geben.