Krise bei "Charlie Hebdo"
Ein Opfer des islamistischen Terrors in Europa ist die Satirezeitschrift "Charlie Hebdo". Nach dem Massaker Anfang des Jahres wurde sie Symbol der Meinungsfreiheit - viereinhalb Monate danach droht sie an sich selbst zu zerbrechen: Zum einen gibt es Spannungen zwischen den Angestellten und der Geschäftsführung und den Hauptaktionären - und noch dazu will jetzt einer der namhaftesten Überlebenden im Herbst das Blatt verlassen.
8. April 2017, 21:58
Morgenjournal, 20.5.2015
Aus Paris,
Vor zwei Monaten schon hatten sich 15 der 20 Redakteure und Karikaturisten von "Charlie Hebdo" zu einem Kollektiv zusammengeschlossen und in der Tageszeitung "Le Monde" öffentlich von der Geschäftsführung mehr Transparenz, eine Veränderung der Eigentumsverhältnisse und die Beteiligung aller am Kapital der Zeitung forderten – welches zur Zeit von drei Personen, darunter dem neuen Redaktionsleiter Riss, gehalten wird.
Das Kollektiv möchte das Unternehmen in eine Kooperative verwandeln und sprach vom "Gift der Millionen", welches "Charlie Hebdo" infiziert habe. In der Tat verfügt das einst kränkelnde Blatt jetzt über rund 12 Millionen Euros dank der gigantischen Auflagen nach dem Attentat und über 4 Millionen aus Spenden, die aus aller Welt eingegangen waren und den Familien der Opfer zu Gute kommen sollen. Es ist als hätten diese Summen tiefes Misstrauen innerhalb einer Redaktion geschaffen, die eigentlich eher der solidarischen Ökonomie und linkem, ja anarchistischem Gedankengut zugewandt ist.
Zusätzlich für Spannung sorgte, dass die Geschäftsführung letzte Woche einer Redakteurin, ausgemachte Islamspezialistin und besonders exponiert, mit der Entlassung gedroht hatte, als wäre Charlie Hebdo ein x–beliebiges Unternehmen, bevor die Geschäftsführung dann zurückruderte: Es geht nicht darum, eine Entlassung auszusprechen, sondern einer Angestellten ihre Verpflichtungen gegenüber ihrem Arbeitgeber in Erinnerung zu rufen, betonte der Anwalt von "Charlie Hebdo".
Doch schon wenige Tage später folgte der nächste Schlag für das Blatt: Luz, eine der Stützen des Blatts, der die Titelseite der ersten Ausgabe nach dem Attentat mit dem weinenden Mohammed und dem Schriftzug: "Alles ist vergeben" gestaltet hatte, die 8 Millionen Mal verkauft wurde, kann einfach nicht mehr, wird das Blatt, ja sogar Frankreich verlassen und sich angeblich in Berlin niederlassen: Ich sag mir ständig, ich bin da einer Sache entkommen und ich hätte eigentlich, als das Attentat geschah, dort sein müssen, so Luz, der in einem Zeitungsinterview gestern betonte. Jeder Redaktionsschluss sei eine Tortur für ihn, weil die anderen fehlten und er sei schlicht nicht mehr in der Lage, sich mit der Aktualität zu befassen, nachdem er vor Wochen schon angekündigt hatte, er werde nie mehr den Propheten zeichnen, er interessiere ihn nicht mehr, genau so wenig wie Sarkozy.
Bei allem Verständnis für Luz' persönliche Entscheidung, gab etwa Ivan Rioufol von der Tageszeitung "Le Figaro" zu bedenken: Letztlich haben wir alle verloren mit "Charlie Hebdo". Es ist heute offensichtlich unmöglich für eine satirische Zeitung Karikaturen zu veröffentlichen, die sich über Mohammed lustig machen, ein echter Schlag für das Recht auf freie Meinungsäußerung.
In Frankreichs Buchhandlungen erscheint heute ein Comic-Band von Luz unter dem Titel "Katharsis" - seine ganz persönliche Aufarbeitung der letzten Monate: Ich rede viel von mir oder besser von dem was in meinem Kopf vor geht, letztlich vom psychologischen Krieg der dort stattfindet.
Service
Le Monde - Pour la refondation de "Charlie Hebdo"