Mit Pfeil und Bogen gegen die "Lord's Resistance Army"

Arrow Boys

In den dichten Dschungelwäldern im südsudanesischen Yambio in der Region Western Equatoria, direkt an der Grenze zur Republik Kongo, lauert nicht nur die schwarze Mamba, sondern auch die LRA, die "Lord's Resistance Army" des international gesuchten Kriegsverbrechers Joseph Kony.

Immer wieder überfallen ihre Kämpfer die Dörfer im benachbarten Südsudan, rauben Nahrungsmittel, verschleppen Männer und Frauen, um sie wie Sklaven schuften zu lassen und zum Töten zu zwingen.

Justin Morris aus dem kleinen Dorf Kidi war 28 Jahre alt, als ihn die LRA in den Kongo entführte, schlug, folterte und mit Hilfe von "Schwarzer Magie", wie er erzählt, zum Mörder machte: "Sie befehlen Dir, Deinen Freund zu töten. Sie ritzen Dir mit Rasierklingen die Haut auf und reiben heiße Kohle in die Wunde. Davon wird Dir ganz schwummrig und Du musst lachen, wenn Du tötest. Und nachher musst Du auch fröhlich sein und lachen." Wer sich weigert, wird selbst getötet.

Justin Morris unternahm zwei Fluchtversuche. Der erste misslang, woraufhin er fast totgeschlagen wurde. Schließlich hat er sich mit einem ortskundigen Kongolesen zusammengetan und gemeinsam gelang ihnen die Flucht. Nun gehört Justin Morris - wie viele andere der jungen Männer und Frauen hier - zu den sogenannte "Arrow Boys", einer Bürgermiliz, die die Dörfer mit selbstgebastelten Vorderladern und Pfeil und Bogen beschützt.

Ein Mann mit einem selbstgebautem Gewehr

Die "Arrow Boys" haben erreicht, dass die Region nun wieder einigermaßen sicher ist, der letzte Überfall war im Februar, verlief aber halbwegs glimpflich.

APA/HELMUT FOHRINGER

Sobald die Menschen aus ihrer Opferrolle heraustreten und sich wehren, entziehe man der LRA die Möglichkeit Angst und Schrecken zu verbreiten, erklärt Matthias Fettback. Der Deutsche besitzt jahrzehntelange Erfahrung in Afrika und arbeitet derzeit als technischer Berater für Caritas Österreich im Südsudan.

Vollständige Entwaffnung kaum möglich

Alles habe zwei Seiten, meint Fettback: Einerseits sei es ein Problem, dass im Südsudan oft kleine Streitigkeiten sofort mit Waffengewalt ausgetragen würden. Andererseits sei es kaum möglich, eine vollständige Entwaffnung der verschiedenen Milizen zu erreichen, "weil bestimmte Bevölkerungsgruppen aus Selbstverteidigungsgründen weiter bewaffnet bleiben müssen, weil sie sonst den Rebellen total ausgeliefert wären."

Das führe zu einem Teufelskreis zwischen Verteidigung und der Möglichkeit, mit der Waffe Revanche zu üben, erklärt Fettback.

"Deshalb muss die Verteidigung auch immer gekoppelt sein an Traumabewältigung und im christlichen Sinne würden wir da sagen: Vergebung". Auch der Arrow-Boy Justin Morris meint: "Wir brauchen Hilfe, um das Trauma zu bewältigen und Unterstützung, damit wir die Landwirtschaft hier wieder aufbauen können, wieder ein normales Leben führen können."

Am Schlimmsten seien seiner Meinung nach die Kinder dran, die die Frauen aus dem Busch mitbringen, weil sie von LRA-Mitgliedern vergewaltigt worden sind.

Zwei südsudanische Frauen mit ihren Kindern

"Niemand will diese Kinder, niemand kümmert sich darum, nicht um die Frauen und nicht um die Kinder", erzählt Justin Morris. "Die Leute sagen, das sind die Kinder der Feinde, die Kinder von Kony."

Margit Draxl

Opfer und Täter

Darum unterstützen kirchliche Organisationen hier nicht nur Landwirtschaftsprojekte, sondern auch gezielte Programme zur Trauma-Bewältigung. Traditionelle afrikanische Methoden der Traumabewältigung würden hierbei verbunden mit modernen Erkenntnissen aus der psychosozialen Arbeit, erklärt Fettback und bringt ein Beispiel:

Für die Menschen im Südsudan spiele die Beerdigung eine große Rolle und so würden Menschen, die aufgrund von Massakern der LRA nicht beerdigt werden konnten, nach mehreren Jahren rituell beerdigt, indem man ein Begräbnisritual für eine Strohpuppe durchführe, damit die Seelen der Verstorbenen Ruhe finden können. Dabei würden Opfer und Täter einander begegnen, denn diese kämen oft aus demselben Dorf, "durch die Entführung von Kindern, die dann zu grausamen Mordmaschinen ausgebildet werden", erklärt der Caritas-Mitarbeiter. Dieses gemeinsame Ritual zwischen Opfern und Tätern habe dann eine Art öffentlichen Zeugnischarakter. So hoffe man, dass "der Reintegrationsprozess der ehemaligen Kindersoldaten in die Zivilgesellschaft wieder möglich ist."

Versöhnung und Friedensarbeit

Reintegration, Versöhnung, Friedensarbeit - das wird von den christlichen Kirchen im Südsudan groß geschrieben – nicht nur in Bezug auf Opfer und Täter der LRA. Die Kirchen engagieren sich auch gemeinsam für Friedensverhandlungen zwischen den politischen Kontrahenten im Südsudan, dem amtierenden Präsidenten Salvar Kiir und seinem früheren Stellvertreter Rieck Machar, und für Versöhnung zwischen den verfeindeten Volksgruppen der Dinka und der Nuer.

Der ehemalige Priester John Ashworth lebt seit 32 Jahren im Südsudan und berät die katholischen Bischöfe des Landes in politischen Fragen. Er erklärt, dass die Kirchen im Südsudan großen Einfluss hätten: "Weil wir hier vor Ort sind, bei den Menschen." Das sei ein Unterschied zu vielen NGOs und der UN.

Ein Auto mit einem Aufkleber, der eine durchgestrichene Waffe zeigt

Alexandra Mantler

Stufe 4 - wenn alle gehen

"Sie haben sicher schon von Stufe 4 gehört", so John Ashworth. "Stufe 4 wird ausgerufen, wenn es gefährlich wird und alle weglaufen, viele Hilfsorganisationen ihre Leute evakuieren." Die Kirchen dagegen würden auch bleiben, wenn sonst niemand mehr da sei.

"Wir konnten den Menschen beistehen, unterstützt von Organisationen wie der österreichischen Caritas, den ganzen letzten Krieg hindurch, als keine Hilfsorganisationen mehr da waren, keine UN, keine Regierung, niemand mehr, nur noch die Kirchen." Darum seien die christlichen Kirchen im Südsudan für die Menschen glaubwürdig und hätten eine große moralische Autorität, die sie, so John Ashworth, dafür einsetzen wollen, um einen Beitrag zu leisten, dass endlich Frieden einkehre in einem Land, dessen Bevölkerung seit Jahrzehnten Krieg und Gewalt erlebt.

Service

Caritas - Für eine Zukunft ohne Hunger