Spirituelle Kunst in der indischen Kultur
Uralte Bühnenkunst aus Indien präsentiert die "Ouverture spirituelle", die dieser Tage die Salzburger Festspiele einleitet: Zum Beispiel Sanskrit-Dramen, deren komplette Aufführung sich über Monate ziehen würde, und eine Tänzerin, die in der indischen Ökologie- und Frauenbewegung aktiv ist.
26. April 2017, 12:23
Spirituelle Kunst spielt in der indischen Kultur bis ins Alltagsleben hinein eine gewaltige Rolle. Doch wie passen diese Ausdrucksformen in eine Gesellschaft, die von Industrialisierung und Verstädterung geprägt ist? Können sie Antworten auf die Zerstörung der Umwelt, politische Radikalisierung und Gewalt geben? Darüber hat Ö1 mit Künstlerinnen und Künstlern, die derzeit in Salzburg auftreten, in Salzburg gesprochen.
Kulturjournal, 22.7.2015
"Kutiyattam", Zusammenspiel, nennt sich eine Theatertradition, die im südindischen Kerala beheimatet ist und sich seit dem 11. Jahrhundert ungebrochen gehalten hat. Es ist das Zusammenspiel von Musikern und Schauspielern, von Trommeln und Sprechgesang, Mimik und Gestik, die eine perfekt elaborierte Dramaturgie ergeben.
Der Auftritt des Ensembles Nepathya aus Kerala, der den Hinduismus-Schwerpunkt bei den Salzburger Festspielen am Montag eröffnet hat, war eine fast einzigartige Gelegenheit, Kutiyattam zu erleben. Denn aufgeführt und gepflegt wird diese Kunst nur von einigen Dutzend Künstlerinnen und Künstlern, außerhalb der Tempel überhaupt erst seit den 1950er Jahren. 2001 wurde sie von der Unesco zum immateriellen Weltkulturerbe ernannt.
Der Körper als Tempel
Kutiyattam ist eine Rarität, und das hat vor allem zeitökonomische Gründe: Denn die Aufführung der uralten Sanskrit-Dramen zieht sich über eine lange Zeit; nur einen einzigen Akt zu spielen, dauert bis zu 41 Tage. Margi Mandu Chakyar, der Leiter des Nepathya-Ensembles: "Es ist nicht einfach, diese Tradition weiterzuführen. Kutiyattam-Einrichtungen erhalten nur geringe Subventionen der Zentralregierung. Aber die Künstler sind widerstandsfähig. Sie nehmen viel auf sich, um Kutiyattam aufführen zu können. Für sie ist es etwas Göttliches. Sie spielen nicht für einen Gott, sie sehen das Spiel selbst als Gott. Es steckt so viel Tiefe in Kutiyattam, und ich denke, deshalb wird es immer weitergehen."
Dass das Göttliche selbst in der Kunst in Erscheinung tritt, dass die Menschen Gott in Form von Musik und Tanz erfahren können, ist ein zentraler Grundsatz in den darstellenden Künsten Indiens. Man muss weder Sanskrit beherrschen, noch diese enorm elaborierte Sprache der Blicke, der Mimik und Gestik deuten können, um sie genießen zu können - das versichern alle Künstlerinnen und Künstler, die nun vor Salzburger Publikum auftreten. Die starke Emotionalität, die man in Musik und Tanz spürt, wirkt wie eine Mittlerin zwischen den Kulturen.
Bharatanatyam - "ein freudvolles Gebet"
Bei Alarmél Valli etwa, einer berühmten Vertreterin der klassischen indischen Tanzform Bharatanatyam, wirkt alles vollkommen natürlich, wie die spontanen Gesten und Gesichtsausdrücke, die jemand beim angeregten Kommunizieren macht. Und doch handle es sich gleichzeitig göttliche Ausdrucksformen, meint Valli: "Viele Traditionen sehen den Körper als etwas Unheiliges und Fehlbares an, etwas, aus dem man heraus muss, um in die Ewigkeit zu gelangen. Aber wenn man den Körper als Tempel auffasst, wie wir es in unserem Tanz tun, muss man viel mehr in sich hineinschauen. Dieser Tanz ist heilig und sinnlich zugleich, er ist erotisch, aber auch existentiell - ein freudvolles Gebet, wenn Sie so wollen."
Zyklische Rhythmen bieten die Grundlage für den Barathanatyam, während die Künstlerin mit Augen, Gesicht und Händen eine Geschichte erzählt. Den Stoff liefern meist poetische Texte aus der indischen Mythologie, doch man sei als Tänzerin auch selbst Poetin, Alarmél Valli, denn Barathanatyam sei eine Synthese aus vielen Künsten.
Kosmischer Ursprung der Natur
"Der Duft der Erde" nennt Valli ihre Performance, die sie am Samstag in der Kollegienkirche aufführen wird. Ein Tribut an die Lebendigkeit und den kosmischen Ursprung der Natur. Die Schöpfung, in der sich das Göttliche zeigt, ist in der indischen Spiritualität und Literatur ein wiederkehrendes Motiv. Und so mag es kaum verwundern, dass Alarmél Valli wie viele ihrer Kolleginnen in der Ökologiebewegung aktiv ist:
"Ich beschäftige mich viel mit Umweltfragen. Ich würde mich auch als Feministin bezeichnen, auch wenn ich solche Labels nicht mag. Aber es entspricht einfach meiner Lebensweise. Ich habe vor einiger Zeit ein fast 2000 Jahre altes Lied entdeckt. Es handelt von einer kleinen Pflanze, einem Sprössling, und von der Zärtlichkeit gegenüber Lebewesen. Ich war so berührt von dem Text, dass ich ihn aufgeführt habe. Das ist etwas anderes, als auf die Straße zu gehen und zu rufen: Fällt keine Bäume! Es beschreibt vielmehr die enge Verbindung zwischen Mensch und Natur."
Gesellschaftliche Relevanz der Musik
Die Suche nach einer Ausdrucksform, die der Flötist und Musikwissenschaftler Ludwig Pesch er in der abendländischen Musik nicht finden konnte, ließ ihn in den 1970er Jahren nach Indien reisen. Er studierte karnatische Musik in Madras und legte später ein vielbeachtetes Handbuch über südindische Musik auf. In Salzburg hat er nun über das musikalische Zusammenspiel referiert, das zwischen strenger Regelhaftigkeit und individuellem Ausdruck den Spieltrieb des Menschen beflügelt - und die stark fragmentierte Gesellschaft des Subkontinents zusammenhält.
Ludwig Pesch, der heute in Amsterdam lebt, lehrt an Universitäten, vermittelt indische Musik aber auch im nicht-akademischen Bereich - und da vor allem das unbefangene Spiel. Zudem engagiert er sich in einer Stiftung für indigene Völker Indiens, die Adivasis, die zu den Verlierern der Industrialisierung und Urbanisierung zählen, da sie aus ihren Lebensräumen verdrängt werden.
Musik habe gesellschaftliche Relevanz, ist Pesch überzeugt, da sie die Achtsamkeit stärke und Problembewusstsein schaffe. Und so sind auch etliche Künstlerinnen Teil der weiblichen Protestbewegung, die sich nach den Mordfällen an Frauen in Neu Delhi gebildet hat. Doch an indischen Schulen lege man trotzdem wenig Wert auf humanistische Fächer, sagt die Tänzerin Alarmél Valli. Ein Thema, mit dem Valli auch mit österreichischen Bildungspolitikern trefflich diskutieren könnte.