Robert Schindels "Scharlachnatter" erscheint

Ein erfolgreicher Fußballtrainer, der zu einer Lyriklesung lädt, ein Lyriker, der erstmals den Leipziger Buchpreis gewinnt, und eine Lyrikerin, die sich dieses Jahr den Bachmannpreis geholt hat: Nach Jahren im Abseits scheinen sich Gedichte und Dichter/innen neuerdings im Aufwind zu befinden. Dieser Tage erscheint mit "Scharlachnatter" auch der neue Lyrikband von Robert Schindel.

Zuletzt erregte der Autor mit "Der Kalte" Aufsehen, einem Schlüsselroman über die Waldheim-Jahre.

Mittagsjournal, 3.8.2015

Dem Alltag abgeluchst

Eine Dauerbeschäftigung sei für ihn das Dichten, meint Robert Schindel, so wie Tagebuchschreiben oder mehr noch sogar, so wie Atmen. Tatsächlich scheinen die Gedichte dem Alltag des Schriftstellers abgeluchst. In "Krankenlager" erzählt er vom leergehusteten Himmel, von der mitternächtigen Qualkonferenz und dem Dahinsumpern der Zeit in den Bronchien. Beim Blick vom Balkon kommen ihm Saftgedanken und Wutideen hoch und in einer schlaflosen Nacht sieht er die Freunde als Gespenster im Zukunftsladen stehen. "Manche Gedichte benötigen eine Alltagssprache oder Alltagsworte und sind dann entsprechend rhythmisiert, andere benötigen wieder, um ein neues Feld aufzumachen und eine neue Welt zu eröffnen, Wortneuschöpfungen", erklärt der Dichter.

Boom der "Verdichtung"

Nach Jahren im Hintertreffen sei der Lyrik zuletzt endlich wieder die Aufmerksamkeit zugekommen, die sie verdiene, meint Robert Schindel und verweist auf den Leipziger Buchpreis. Den hat heuer mit Jan Wagner erstmals ein Lyrikautor gewonnen. Und den Bachmannpreis hat zuletzt die Dichterin Nora Gomringer mit nach Hause genommen. Und auch bei der Leserschaft punkten Lyrikbände.

Hängt das vielleicht damit zusammen, dass auch die von SMS und Facebook-Nachrichten bestimmte Schreibkultur auf Kürze und Prägnanz setzt, also genau die Eigenschaften, die auch die Lyrik auszeichnen? Robert Schindel meint: "Das Wesen der Lyrik ist nicht die Verkürzung, sondern die Verdichtung und die SMS-Nachrichten sind eben gerade keine Verdichtungen, sondern prägnante, kurze appellartige Äußerungen. Ich glaube eher, das Bedürfnis nach etwas, das man schnell lesen kann und das trotzdem Literatur ist, wächst."

Pep Guardiola trägt vor

Und dieses Bedürfnis wächst auch dort, wo man es gar nicht vermuten würde: Ende Juni wurden im Münchner Literaturhaus Gedichte des verstorbenen Katalanen Miquel Martí i Pol vorgetragen. Aber nicht von einem Dichterkollegen oder einem Literaturwissenschaftler, sondern vom Startrainer Bayern Münchens Pep Guardiola.

"Ich verlasse alles und lerne geheime Schlüsselzeichen in der Stille der Nacht", rezitiert der Bayern-Trainer und genießt dabei sichtlich die poetische Wortwahl, die hier das Spiel macht und die Sprache der Medien auf die Ersatzbank verweist. Robert Schindel: "Nachdem die Bildüberflutung und das journalistische Sprechen sehr dominant sind, gibt es ein Bedürfnis nach Poesie, nach Atemholen, nach genauer Beobachtung und das alles in einem überschaubaren Format."

Kürze, die nachhaltig nachhallt

Kurz und trotzdem prall, schnell konsumiert und trotzdem lang anhaltend im Geschmack. Die Lyrik entspricht dem neuen Zeitmanagement und hebelt es gleichzeitig gefinkelt aus. Mit einer Kürze, die nachhaltig nachhallt. Zu erleben in Jan Wagners "Regentonnenvariationen", in Durs Grünbeins Mondvisionen "Cyrano" oder ganz druckfrisch in Robert Schindels "Scharlachnatter".

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Robert Schindel, "Scharlachnatter", Gedichte, Suhrkamp

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