EU-Gipfel zur Flüchtlingskrise

In Brüssel kommen heute Abend die Staats- und Regierungschefs der EU zu Beratungen über die Flüchtlingskrise zusammen. Gestern haben die Innenminister getagt und dabei zur in ihrer Runde höchst unüblichen Vorgangsweise gegriffen. Sie haben mit Mehrheit, gegen den Widerstand von vier mittel- und osteuropäischen Ländern, die Verteilung von 120.000 Asylsuchenden auf die Staaten der EU beschlossen. Heute Vormittag hat in Brüssel die EU-Kommission getagt, und auch dort war der Beschluss von gestern und der bevorstehende Sondergipfel zur Flüchtlingsfrage das wichtigste Thema.

Flüchtlinge zu Fuß unterwegs

EPA/ZOLTAN BALOGH

Mittagsjournal, 23.9.2015

Aus Brüssel,

In der Flüchtlingskrise hört die EU-Solidarität also nach 23 Staaten auf. Nach dem gestrigen Mehrheitsbeschluss der Innenminister zur Verteilung von 120.000 Flüchtlingen sitzen heute die Chefs aller 28 in Brüssel beisammen und müssen sich wohl fragen, wie glaubwürdig diese Europäische Union noch ist. Auf der einen Seite Ungarn, die Slowakei, Tschechien und Rumänien, die sich mit Händen und Füßen gegen eine Asylquote wehren, auf der anderen Seite Länder wie Deutschland, Österreich oder Schweden, in die immer mehr Asylwerber kommen und dazwischen Finnland, das sich gestern der Stimme enthalten hat. Noch vor den Staats- und Regierungschef hat am Vormittag die EU-Kommission getagt und da war natürlich nichts zu merken von Spaltung - Blick nach vorne ist offenbar die Devise.

"Gesamteuropäisches Bewusstsein

Sie waren bemüht, so viel Aufbruchsstimmung wie möglich zu vermitteln, die Mitglieder von Jean- Claude Junckers EU-Kommission. Der Chef selbst hielt sich vor Beginn der Sitzung noch mit Stellungnahmen zurück, aber einer nach dem und eine nach der anderen traten seine Kommissionsangehörigen vor Kameras und Mikrophone, um Tatkraft und neuen Schwung zu signalisieren.

„Ich bin heute der Glückliche in der Runde“, sagte da etwa der Flüchtlingskommissar Dimitris Avramopoulos. Den Beschluss der Innenminister von gestern sieht er als wichtiges Signal. Er gibt aber auch zu, dass Europa das Problem zu lange unterschätzt hätte, man hätte immer gedacht, es betreffe nur die südlichen EU-Länder. Erst jetzt gebe es dafür ein gesamteuropäisches Bewusstsein.

EU-Nachbarschaftskommissar Johannes Hahn will vor allem die Anstrengungen für Hilfe an die Türkei verstärken. Er rechnet damit, rund eine Milliarde Euro an Hilfsgeld auftreiben zu können, Geld, das dazu dienen soll, die Lage in von syrischen Flüchtlingen in der Türkei zu verbessern, in der Hoffnung, sie würden sich dann nicht auf die gefährliche und illegale Reise nach EU-Europa begeben.

Auch am Abend, wenn die Staats- und Regierungschefs der EU hier in Brüssel zusammenkommen, soll viel über Hilfe für die Regionen gesprochen werden, in denen sich besonders viele Flüchtlinge aufhalten. Vor allem die Türkei und der Libanon können hier mit mehr Mitteln rechnen, und auch internationale Organisationen wie die UNO-Flüchtlingshilfe oder das Welternährungsprogramm, bei denen zuletzt die Mittel dramatisch knapp geworden waren.

Auch die Frage, wie Europa seine Grenzen besser schützen könnte, wird diskutiert werden, aber gerade dabei wird ein grundsätzliches Dilemma offenbar. Denn eine totale Abschottung nach dem Beispiel des ungarischen Grenzzauns wird grundsätzlich nicht gerne gesehen, andererseits kann sich Ungarns Premier Viktor Orban bei dieser Maßnahme auf geltendes EU-Recht berufen. Und für die Meeresgrenzen, auf denen sich keine Zäune bauen lassen, gilt weiterhin, dass Menschen, die EU-Europa, wie auch immer, erreichen, dort das Recht auf ein Asylverfahren bekommen müssen. Europa will also humanitär gegenüber Schutzsuchenden und gleichzeitig streng gegenüber sonst wie illegal Einreisenden sein, ein Widerspruch, der zur Zeit nur auf chaotische Weise mit der Realität in Einklang zu bringen ist.