Timothy Snyders Holocaust-These

Es habe etwas Beruhigendes zu glauben, der Holocaust sei ein singulärer Vorgang gewesen. Aber: Der Holocaust kann sich wiederholen. Das schreibt der US-amerikanische Historiker Timothy Snyder in seinem Buch "Black Earth". Schon anno 2010 hatte der Professor an der Yale University mit seinem preisgekrönten Buch "Bloodlands" über den Holocaust und den Stalin-Terror für Konfrontationen gesorgt - mit "Black Earth" hat er jetzt eine neue Debatte in Gang gesetzt.

Betonstelen

Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin

ORF/JOSEPH SCHIMMER

Morgenjournal, 21.10.2015

"Präzedenzfall, der ewig währt"

"Die Geschichte des Holocaust ist nicht vorbei. Er ist ein Präzedenzfall, der ewig währt und seine Lektionen haben wir noch nicht gelernt", schreibt Timothy Snyder in "Black Earth". Auf knapp 500 Seiten breitet er dazu provokante Thesen aus, untermauert durch akribisch recherchierte Belege und Argumente.

Die Voraussetzungen

Für den Holocaust gab es keinen Masterplan, sagt er, es brauchte aber drei Voraussetzungen: eine rassistische Weltanschauung verbunden mit zerstörten staatlichen Strukturen und - nach dem Trauma des Ersten Weltkriegs und der Weltwirtschaftskrise - einen proklamierten Wettlauf um Lebensraum und Nahrung. "In Hitlers Ökologie wurde der Planet durch die Anwesenheit von Juden ausgeplündert", schreibt Timothy Snyder und versucht eine Neuinterpretation von Hitlers Gedankenwelt.

Hitlers Gedankenwelt

"Aus Hitlers Sicht ist es gut und recht, dass wir die ganze Zeit Angst um unsere Ressourcen haben. Es ist gut und recht, weil wir sind eine Rasse, und Rassen sind eben so. Ökologische Panik ist natürlich und gut. Wenn du Angst hast um die Ressourcen, heißt das, dass du andere töten musst. Wenn du immer mehr willst, ist das gut, das macht den Menschen aus." Entfalten konnte sich der Holocaust aber erst, nachdem die staatlichen Strukturen im damaligen Osteuropa zerstört wurden, weiß Timothy Snyder. "In Hitlers Schriften kann man das nachlesen, das wurde bisher übersehen: Er schreibt, wie das funktioniert. Wenn der Rassenkampf sich entfaltet, brechen bestehende Staaten zusammen. Die politischen Grenzen lösen sich angesichts von Revierkämpfen auf. Das ist ihm klar."

Plädoyer für starken demokratischen Staat

"Black Earth" - das ist nicht zuletzt auch ein Plädoyer für einen starken demokratischen Staat. "Keiner stellt die Verbindung her - keiner sagt: Staaten zerstören, das ist Hitlerismus", sagt Snyder. "Die USA sind 2003 in den Irak einmarschiert, Russland ist 2014 in die Ukraine einmarschiert. Und keiner sagt: Staaten zerstören ist riskant, es gehört zur Geschichte des Holocaust. Das haben wir vergessen."

"Klimawandel könnte zum Anlass werden"

In einem streitbaren Schlusskapitel entwirft Snyder zu guter Letzt Szenarien, die einen neuen Holocaust möglich machen könnten. "Der Klimawandel", schreibt er etwa, könnte "als globale Krise zum Anlass für die Suche nach globalen Opfern werden." Die Kritiken sind jedenfalls geteilt: Lehrreich, unorthodox und präzise, loben die einen, abstrus, fragwürdig und verstiegen, meinen die anderen.

"Ich wurde von allen Seiten gleichzeitig attackiert. Es ist kein Buch, das ich geschrieben habe, um mir Freunde zu machen - es ist für fast alle in bisschen unbequem." Heute Abend wird Timothy Snyder sein Buch im ausverkauften Wien Museum vorstellen: "Black Earth - Der Holocaust und warum er sich wiederholen kann".

Service

Timothy Snyder, "Black Earth - Der Holocaust und warum er sich wiederholen kann", Verlag C.H. Beck

Heute Abend präsentiert Timothy Snyder im Wien Museum sein Buch "Black Earth". Die Veranstaltung ist bereits ausgebucht.
Wien Museum