Paul Poets Doku "My Talk with Florence"

Neun Jahre lang hat die Französin Florence Burnier-Bauer am burgenländischen Friedrichshof in der Otto-Mühl-Kommune gelebt. Doch was als wagemutiges Experiment daherkam, entpuppte sich für die Bewohner als autoritäres, starres Überwachungssystem, das jede Individualität sofort im Keim erstickte. 1989 ist Burnier-Bauer die Flucht gelungen. Ihr widmet der österreichische Filmemacher Paul Poet nun einen Dokumentarfilm.

Kulturjournal, 19.1.2016

Eine Utopie die spektakulär gescheitert ist - so könnte die Kommune des Wiener Aktionisten Otto Mühl am burgenländischen Friedrichshof beschreiben. 1972 hat Mühl die Gemeinschaft gründet. Die Leitmotive waren: Besitzlosigkeit, freie Sexualität und öffentliche Therapien. Doch was am Papier als wagemutiges Experiment daherkommt, das hat sich für die Bewohner des Hofes als autoritäres, starres Überwachungssystem entpuppt, das jede Individualität sofort im Keim erstickt. Später ist Otto Mühl wegen Kindesmissbrauch und Verstoß gegen das Suchtgiftgesetz zu sieben Jahren Haft verurteilt worden.

Zwei Stunden lang sind die Kinobesucher der Dichte und der Härte der Erzählungen von Florence Burnier-Bauer unmittelbar ausgesetzt. Ausweglos, auch und gerade weil es eine Geschichte, die alles andere als leicht zu ertragen ist. Regisseur Paul Poet setzt dabei ganz auf die Kraft und die Ausstrahlung seiner Protagonistin.

Florence Burnier-Bauer kommt als Randexistenz an den Friedrichshof. In Frankreich wird sie von der Polizei gesucht. Sie schläft in Kellern, wärmt sich in Kinos, stiehlt in Bäckereien und trampt per Autostopp durchs Land, in der Hoffnung, dass ihr die Fahrer eine Mahlzeit spendieren. Als nichts mehr geht, prostituiert sie sich. Der Friedrichshof ist für sie das Versprechen von Ankommen und Heimat. Schon als Kind wird Burnier-Bauer von ihrem Großvater und ihrem Vater sexuell missbraucht. Mit 13 kommt sie ins Internat, mit 15 erstmals in eine psychiatrische Anstalt, mit 17 wird alles zuviel - sie haut ab.

Wie für viele andere, wird der Friedrichshof auch für Burnier-Bauer zur hoffnungsvollen Insel. Doch der Hof ist geprägt von unbedingten Hierarchien, dreimal täglich verordnetem Sex und dem Ausschalten jeder Individualität. Oberstes Gebot - Gehorsam gegenüber Otto Mühl, der sich als allmächtiger Fürst der Kunst und der Sexualität inszenierte und dabei keine Grenzen für sich selbst akzeptiert. Burnier-Bauer schildert Mühl als enigmatischen und machtbesessenen, selbstherrlichen und despotischen Monarchen. Ein Sonnenkönig. Er lockt und quält sie und missbraucht jahrelang ihre Tochter. Auch ihr Sohn wird zum Opfer.

Für ein aktionistisches Theaterstück gedreht

Stilistisch passt sich der Film der nackten Brutalität der Erzählung an. Hier wird nichts geschönt, sondern einfach draufgehalten. Im Hintergrund hört man da schon einmal ein Handy läuten. Alltagsrealismus pur. So nüchtern Burnier-Bauer erzählt, so bewusst ungeschminkt gibt sich der ganze Film. Ursprünglich wurde der Film für ein aktionistisches Theaterstück gedreht.

An der Oberfläche wirkt der Film wie das Horrortagebuch eines Lebens voller Missbrauch und Erniedrigungen. Doch Burnier-Bauer ringt ihrem eigenen Schicksal trotzig Würde ab. Bis man als Zuseher zu hoffen wagt, dass diese Frau ihre Geschichte am Friedrichshof tatsächlich in ihre Biografie integriert hat, dass die Narben zwar nicht vergehen, sie sie aber mit Stolz trägt. Diese lebensbejahende Überwindung der brutalsten und gröbsten Schläge, die Weigerung nur Opfer zu sein und das Festhalten an einem Alltag nach diesem Wahnsinn ist das eigentlich Faszinierende an "My Talk with Florence".