Türkei lässt Flüchtlinge ziehen
Griechenland beschuldigt die Türkei, den mit der EU abgeschlossenen Deal zur Eindämmung der Flüchtlingskrise zu ignorieren. Der griechische Präsident wirft der türkischen Küstenwache und Hafenbehörden gar vor, mit Schleppern gemeinsame Sache zu machen. Die Türkei weist die Vorwürfe zurück.
8. April 2017, 21:58
Tatsache ist: trotz der Winterstürme flüchten noch immer täglich je nach Wetterlage bis zu 2.000 Menschen über die Ägäis. Experten in der Türkei warnen vor europäischen Illusionen. Mit oder ohne Abkommen: der Flüchtlingsstrom aus der Türkei nach Europa werde weitergehen, erzählt etwa der Migrationsforscher Ahmet Icduygu.
Mittagsjournal, 20.1.2016
Aus der Türkei,
Sie haben es nicht geschafft sind aber gerettet worden. Eine Gruppe syrischer Flüchtlinge wird Hafen von Kücükuyu von der türkischen Küstenwache versorgt. Mit trockener Kleidung und Essen. Die Szene wiederholt sich täglich. Nur gut 10 Kilometer entfernt von hier liegen die einsamen Strände. Von hier aus starten die Schlauchboote Richtung Lesbos in Griechenland. Auch jetzt zur kalten Jahreszeit bei stürmischer See und eisigen Temperaturen. „Wir sind vor einer Stunde hierher gekommen. Wir haben gehört ein Flüchtlingsboot hat einen Felsen gerammt und ist gesunken. Wir wollten helfen. Die Menschen sind wohl ertrunken als sie von dem Felsen dort hierher schwimmen wollten“, sagt dieser Anrainer.
Die Küstenwache erzählt Journalisten hinter vorgehaltener Hand seit Wochen dasselbe: man rette hier Leben, die Menschen vor der Flucht abhalten könne man nicht, dafür seien es zu viele und es fehle ganz einfach an Ressourcen. Und nicht nur bei der Küstenwache.
3 Milliarden Euro Hilfe zur besseren Integration der mehr als 2,5 Millionen registrierten Flüchtlinge hat die EU der türkischen Regierung versprochen. Dann wurde in Europa erst einmal ordentlich gestritten, wie man das Geld zusammenkratzen soll. Bisher erzählen uns Diplomaten in Ankara ist von der versprochenen Summe kein einziger Cent an die Türkei geflossen. Vorwürfe man winke Flüchtlinge nach Europa einfach durch, werden von türkischer Seite zurückgewiesen. 200.000 Migranten, 3.800 Schlepper habe man gestoppt im vergangenen Jahr heißt es.
Eine Reduktion der Flüchtlingszahlen, die Rücknahme abgelehnter Asylwerber aus Europa, dafür politische Zugeständnisse an die Türkei. Der Deal zwischen Ankara und Brüssel wurde hoch zelebriert, die Realität ist ernüchternd warnen türkische Migrationsexperten wie Ahmet Icduygu der Koc-Universität in Istanbul: „Es ist noch zu früh, die Auswirkungen des Abkommens wirklich abzuschätzen. Wir dachten im Winter wird es schwierig für die Menschen über das Meer zu flüchten. Aber die Zahlen bleiben hoch. Der Deal zwischen der Türkei und Europa hat bisher wenig bewirkt. Die hohen Erwartungen in Europa und der Türkei sind nicht realistisch.“
Eine Forderung der Europäer wird jetzt umgesetzt: Syrische Flüchtlinge können in Kürze in der Türkei legal eine Arbeitserlaubnis bekommen. Mit Einschränkungen. Keine Firma darf mehr als 10% ihre Jobs an Syrer vergeben und Syrer dürfen auch nur in der Region legal arbeiten, wo sie als Flüchtlinge registriert wurden. Und das ist in den meisten Fällen in den Grenzregionen im Osten des Landes, die ohnehin wirtschaftlich hinterher hinken. Die Integration der Syrer wird dies alles nur mäßig fördern sagt Migrationsforscher Icduygu: „Das kann vielleicht bei jungen Syrern in der Türkei den Wunsch nach Europa zu gehen ein bisschen dämpfen. Aber das hat nur einen psychologischen Effekt. Die Wirkung wird bescheiden sein. Die Arbeitslosigkeit bei uns ist hoch, der Arbeitsmarkt kann kaum mehr Menschen aufnehmen. Und am Schwarzmarkt arbeiten Syrer ja ohnehin schon längst.“
Welche Maßnahmen auch immer gesetzt werden. Der Flüchtlingsstrom geht weiter. Am Strand von Ayvacik, gegenüber von Lesbos, warten jeden Tag die nächsten. Auf den Aufbruch meist am frühen Morgen. Dass Europa sie eigentlich nicht mehr haben will, dass scheinen viele hier gar nicht zu wissen.