Glavinic: Angst vor Größe im "Jonas-Komplex"
"Jonas-Komplex" ist der Begriff für Angst vor der eigenen Größe oder Berufung und der Titel von Thomas Glavinic' neuem Roman. Darin beschreibt der Autor pointiert und authentisch welch kreative Strategien seine kompliziert gestrickten Figuren gegen die Zumutungen des Lebens entwickelt haben.
8. April 2017, 21:58
Morgenjournal, 11.3.2016
Drogenmissbrauch und Grenzerfahrungen als Lebensflucht, Sehnsucht, Liebe und Einsamkeit sind bevorzugte Themen des österreichischen Autors, der mit Romanen wie "Die Arbeit der Nacht" oder "Das bin doch ich" internationale Bekanntheit erlangt hat.
Das Café Anzengruber oder der Italiener "Otto e mezzo", beide in der Wiener Schleifmühlgasse gleich beim Naschmarkt, sind bevorzugte Aufenthaltsorte des Schriftstellers - also eines der drei Romanhelden in "Der Jonas-Komplex". Dieser Schriftsteller hat ein ernstzunehmendes Problem mit Alkohol und Kokain; seine Reisen zu befreundeten Kollegen in Hamburg oder Rom geraten zu Exzessen. Doch er hat auch klare Momente, nämlich wenn er schreibt oder mit seinem Kind zusammen ist.
Service
Thomas Glavinic, "Der Jonas-Komplex", S. Fischer-Verlag
Der namenlose Held
Auch Thomas Glavinic empfängt seine Gäste derzeit ausschließlich in der Schleifmühlgasse, die er nur noch verlasse, um zum Flughafen zu kommen, wie er sagt. Glavinic-Kenner werden noch andere Parallelen zu seinem Alter-Ego im neuen Roman feststellen - ein literarisches Spiel des Autors, das man schon von früheren Werken kennt. Dass Glavinic gerne mit dem Spannungsfeld zwischen Fiktion und Realität gerne arbeite, habe er schon in "Das bin doch ich" gezeigt. Jedoch "war damals der Ich-Erzähler ein Schriftsteller namens Thomas Glavinic", hingegen habe der Held im aktuellen Roman keinen Namen, und so könne man ihm diesen "nicht so leicht unterjubeln, auch wenn es die eine oder andere Parallele geben mag".
Sehr wohl namentlich genannt werden andere Figuren mit realen Entsprechungen: Etwa die Schriftstellerkollegen Angelika Hager und Stefan Beuse, oder auch die Männermörderin Estibaliz Carranza vom Meidlinger Eissalon, die der Schriftsteller mit dem Topanwalt und dicken Freund Werner Tomanek im Frauengefängnis besucht.
Strategien gegen Zumutungen des Lebens
In kurzen Kapiteln springt der Roman zwischen drei Handlungssträngen hin und her. Da taucht etwa der von früheren Romanen bekannte Jonas wieder auf. Er hat ein Faible für Grenzerfahrungen. Ein zwielichtiger japanischer Anwalt erfüllt ihm jeden erdenklichen Wunsch, finanzielle Grenzen sind Jonas keine gesetzt. Nachdem er im Roman "Das größere Wunder" eine Mount-Everest-Expedition knapp überlebt hat, will jetzt Marie, die Liebe seines Lebens, mit ihm die Antarktis durchwandern. Dieser Jonas lasse ihn schon seit geraumer Zeit nicht los, sagt Thomas Glavinic. Und schließlich wäre da noch ein weststeirischer Teenager, der vor seinen Ängsten in die komplexe Welt des Schachspiels - und in die Masturbation - flüchtet. "Für mich ist das eigentlich der Hauptstrang. Aus diesem Jungen hätte sowohl der Ich-Erzähler, als auch der Jonas werden können", so Glavinic. Es habe ihm fast die meiste Freude bereitet, die Kapitel aus dessen Sicht zu schreiben.
Diese Freude stellt sich auch beim Lesen ein - in allen drei Geschichten und von der ersten Seite an. Denn welch - gelinde gesagt - kreative Strategien seine kompliziert gestrickten Figuren gegen die Zumutungen des Lebens entwickelt haben, beschreibt Glavinic pointiert und authentisch wie in seinen besten Büchern.