Brel - Der Mann, der eine Insel war
Jacques Brel kannte sich aus mit dem Unglück, und wenn er in seinen Chansons davon sang, vom Ende einer Liebe, vom Verlassenwerden, von Einsamkeit, dann litt er wie kein anderer. Schmal und bleich sang er etwa sein berühmtes "Ne me quitte pas". Jens Rosteck hat ein Buch über den früh verstorbenen belgischen Chansonnier geschrieben.
8. April 2017, 21:58

Jacques Brel
ASSOCIATED PRESS
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Jens Rosteck, "Brel - Der Mann, der eine Insel war", Mareverlag
Jacques Brel
Es ist die Tristesse der bürgerlichen Verschwiegenheit, der Gefühlsunterdrückung, die etwa auch die Romane von Brels Landsmann Georges Simenon so explosiv macht, die ihn dazu drängt, eine Sprache zu finden - oder vielmehr zu erfinden, denn es gab ja keine Worte für die Leere der Existenz.
Das Buch von Jens Rosteck füllt eine Lücke, als erste ernstzunehmende deutschsprachige Monografie, die auch Brels Bühnenpräsenz einfängt und exemplarisch zumindest einige der Chansons erklärt. Beim Biografischen beschränkt sich Rosteck auf das Wesentliche, beschreibt manchmal literarisch verdichtet, was die rebellische Künstlerpersönlichkeit geprägt haben mag: das Durchschauen der familiären Fassade, hinter der beide Elternteile einander betrügen etwa.
Jens Rosteck
"Weil er großes Lampenfieber hatte, hat er sich vor jedem Auftritt die Seele aus dem Leib gekotzt, bevor er auf die Bühne gehen konnte (...)
Er hat versucht, sich auszuprobieren. Sein ganzes Leben ist eine Art Leben auf Probe; sobald er merkt, dass etwas rund läuft, wird er misstrauisch und will es nicht weiter machen."
Kaum ein Jahrzehnt währt Brels Höhenflug, zu Gast auf den Bühnen der Welt. Vor 50 Jahren, im Oktober 1966, gab er seinen fulminanter letzten Auftritt im Pariser Olympia; nur fünf Jahre, nachdem er dort zum ersten Mal im Hauptprogramm aufgetreten ist.
Noch einmal beginnt er ein anderes Leben: Versucht sich als Filmregisseur, sammelt und fliegt Flugzeuge, beginnt eine Weltumseglung. Die im Fiasko endet: im Zerwürfnis mit der Tochter und mit der Diagnose Lungenkrebs. Nach einer Operation segelt Brel weiter, mit seiner letzten Geliebten, der Tänzerin und Schauspielerin Hélène Bamy. Nach 60 Tagen erreichen sie die Südseeinsel Hiva Oa, rund 70 Jahre zuvor letzter Wohnort und Ruhestätte des Malers Paul Gauguin.
Die Insel wird auch Brels Zuflucht und er zum guten Menschen, der den Insulanern als Pilot dient, den Kindern die ersten Filmvorführungen ihres Lebens organisiert. Im Oktober 1978 stirbt Jacques Brel, nachdem er im Jahr zuvor ein letztes Album aufgenommen hat. Es heißt "Les Marquises" wie das Archipel, auf dem der von seinen Fans, der Presse und wohl vor allem von sich selbst Getriebene zumindest vorübergehend Ruhe gefunden hat.