Nach Faymann: ÖVP steckt Themen ab

Nach dem überraschenden Abgang von Werner Faymann als Bundeskanzler und SPÖ-Chef stellt sich nun auch für den Koalitionspartner ÖVP ein völlig neues Bild da. Deren Obmann und interimistischer Kanzler Reinhold Mitterlehner weiß zwar noch nicht, wer ihm künftig an der SPÖ-Spitze gegenübersitzen wird, er weiß aber schon jetzt, was er von ihm will. Es dürfe kein Abweichen von der vereinbarten Asyl-Linie geben, und das Regierungsprogramm bedürfe einer "Aktualisierung". Als Bedingungen will er das aber nicht verstanden wissen.

Reinhold Mitterlehner

APA/ROLAND SCHLAGER

Mittagsjournal, 10.5.2016

Vom Ministerrat,

Es gab schon Ministerräte, bei denen sich die beiden nicht gemeinsam gezeigt haben, beziehungsweise gezeigt haben, dass sie nur in der Uneinigkeit einig sind. Heute aber gehört die Show einem allein: Vizekanzler Reinhold Mitterlehner führt nach dem plötzlichen Rückzug von Werner Faymann aus allen Funktionen seit gestern die Regierungsgeschäfte - und heute den Ministerrat – und wenn es nach Wiens Bürgermeister Michael Häupl geht, nicht zu lange. Dass die SPÖ einen neuen Kanzler sucht, befeuert natürlich auch beim Koalitionspartner die Spekulationen. Jeden Neuen werde man nicht akzeptieren, hat Mitterlehner schon gestern klar gemacht. Heute Nachmittag tagt der Vorstand der ÖVP in Salzburg.

"Es macht keinen Sinn, jetzt schon Bedingungen oder Drohungen in den Raum zu stellen", hielt der Vizekanzler nach dem Ministerrat fest, als er - in seiner Rolle als Ersatz-Bundeskanzler - allein vor die Presse trat. Es gehe ihm "klipp und klar" um Themen, die man in Zukunft gemeinsam umsetzen müsse. Neben dem Asylkurs und Feilen am Koalitionspakt nannte er darüber hinaus eine "andere Kultur, was die Zusammenarbeit in der Regierung anbelangt". Das habe man sich zwar schon öfter vorgenommen, räumte er ein. Aber er halte es für "durchaus realisierbar", auch die steirische "Reformpartnerschaft" habe das gezeigt.

Bei "wichtigen Themen wie der Flüchtlingsproblematik" müsse die Regierung auch "andere Gruppen, ich denke insbesondere an die Oppositionsparteien", stärker einbinden, sinnierte Mitterlehner weiter. Außerdem will er "eine Art Standortpakt für Österreich" schließen, um dem "Stillstand" im Land entgegenzutreten.

Die ÖVP werde in ihrer heutigen Vorstandssitzung die entsprechenden Positionen definieren, so der VP-Chef. Keinesfalls wolle er dem noch gar nicht vorhandenen neuen SPÖ-Vorsitzenden drohen, beteuerte er. Die Volkspartei lege vielmehr "Themenbereiche" auf den Tisch, "die man entsprechend präzisieren kann und muss". Er gehe davon aus, dass auch die künftige Nummer eins bei den Sozialdemokraten ihre Vorstellungen mitbringen und diskutieren werde.

Mitterlehner sprach im Pressefoyer von einer "durchaus außergewöhnlichen Situation insofern, als ich hier alleine stehe", und das nach der "101. Sitzung der Regierungsperiode". Er dankte Faymann "für die faire Zusammenarbeit und die konstruktive Sitzungsführung".

Schlecht zu gefallen schienen ihm das Solo und die interimistische Regierungsführung aber nicht. "Häupl will mich das nicht sechs Wochen machen lassen", meinte er in Richtung des Wiener Bürgermeisters Michael Häupl. "Schauen wir uns das an." Sollte die SPÖ "keine Entscheidung finden", könne man ja immer noch das Modell Steiermark fortführen, witzelte der Vizekanzler: Dort hatte ja die zweitplatzierte ÖVP den Landeshauptmannsessel erlangt.

Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) verwies vor dem Ministerrat auf den Parteivorstand am Nachmittag. Die Volkspartei werde dort ihre Position festlegen. Sein Standpunkt sei bekannt, so Schelling: Österreich brauche Reformen, und er erwarte sich, dass die SPÖ eine Personalentscheidung treffe, die diesem Bedarf Rechnung trage. Außerdem dürfe der Koalitionspartner nicht von der eingeschlagenen Linie in der Flüchtlingspolitik abkommen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Neuwahlen vor der Tür stehen, "halte ich für sehr gering", sagte der Finanzminister auf eine entsprechende Frage.

Auch Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) betonte, der Asylkurs dürfe nicht in Frage gestellt werden. Grundsätzlich habe die Regierung weiterhin ein "Arbeitsprogramm abzuarbeiten", meinte er auf eine Frage nach allfälligen Nachverhandlungen des Koalitionspakts. Die Volkspartei sei in der momentanen Lage ein Fels in der Brandung, schilderte er die Rolle seiner Partei: Die Bevölkerung müsse "darauf zählen können, dass die ÖVP den stabilen Kurs hält."