AFP / FRANCOIS GUILLOT
Eine literarische Rundreise
Frankfort en française - Frankfurt auf Französisch
Mit dieser Losung präsentiert sich Frankreich als Gast der Frankfurter Buchmesse, die am 11. Oktober eröffnet. Gemeint ist damit, dass sich nicht bloß ein Land, sondern ein Sprachraum vorstellt, der weit mehr umfasst als die Region zwischen Marseilles und Paris. Französischsprachige Literatur wird auch in Kanada, in der Karibik, in Belgien und in Afrika geschrieben.
9. November 2017, 02:00
Die frankophonen Autoren und Autorinnen, die Französisch häufig erst als zweite Sprache gelernt haben, bringen einen neuen Sound und andere Themen in die französischsprachige Literatur: So zum Beispiel Alain Mabanckou, Dany Laferrière, Négar Djavadi und Aya Cissoko.
Ex libris, 8.10.2017
Holger Heimann
"Die Lichter von Pointe Noir" von Alain Mabanckou
Der 1966 im Kongo geborene Alain Mabanckou ist Professor für frankophone Literatur in Los Angeles. Gerade ist sein fünftes Buch erschienen, "Die Lichter von Pointe-Noir". Darin erzählt er von einer Reise in ein vertrautes und zugleich fremdes Land - die Republik Kongo.
Ex libris
08 10 2017, 16:00
Nachdem er seine Heimat mit 23 Jahren verlassen hatte, um zum Studium nach Paris und von dort später weiter in die USA zu gehen, kehrte Mabanckou erst 2012 erstmals in das Land seiner Geburt zurück. Von dieser Rückkehr berichtet er nun. Pointe-Noir hat sich verändert, es ist nicht mehr seine Stadt. Seine Streifzüge durch die Straßen, die ihm oftmals fremd erscheinen, setzen Erinnerungen frei, rufen Bilder seiner Kindheit wach. Freunde und Verwandte wollen Geld von ihm, da er jetzt in Nordamerika lebt, muss er reich sein, folgern sie.
Mabanckou porträtiert die zahlreichen Bittsteller mit spöttischer Distanz. Und er erzählt von dem zuweilen bizarr anmutenden, häufig durch kreative Improvisation bestimmten Lebensalltag in Pointe-Noir - voller Witz, aber auch mit viel Wärme. "Die Lichter von Pointe-Noire" ist so zu einer Art Biografie seiner Geburtsstadt geworden. Mabanckou schreibt so, als würde er einem Freund eine Geschichte erzählen. Die orale Tradition, aus der er kommt, spiegelt sich in allen seinen Büchern wieder.
Debütroman von Dany Laferrière
Seine Heimat Haiti hat Dany Laferrière mit 23 Jahren verlassen. 1976 war das, auf dem Höhepunkt der Duvalier-Diktatur. Laferrière arbeitete als Journalist, und es genügte, die Wahrheit zu schreiben, um auf die schwarze Liste des Regimes zu geraten. Einige Reporter wurden eingesperrt, ein Freund hingerichtet. Davon berichtet der Autor von 32 Büchern, der auch Mitglied der altwehrwürdigen Académie française ist, im Vorwort zu seinem jetzt erstmals auf Deutsch veröffentlichten Debütroman "Die Kunst, einen Schwarzen zu lieben ohne zu ermüden".
"Ich wollte als Schriftsteller über den Ort schreiben, wo ich lebe. Montreal ist eine große nordamerikanische Stadt mit einem ganz eigenen Rhythmus. Diesen Rhythmus, die Bewegung wollte ich einfangen." Dany Laferrière erzählt eine Geschichte rund um zwei mittellose schwarze Migranten. Der Ich-Erzähler, in dem sich der Autor selbst porträtiert hat, besitzt wenig mehr als seine Träume von einer Schriftstellerkarriere und eine alte Remington. Auf der Schreibmaschine tippt er an seinem ersten Roman, in dem er festhält, was er und sein Freund Bouba miteinander erleben. Dieser hört am liebten Jazz und zitiert wechselweise Freud und aus dem Koran.
Das schräge Duo haust in einer ärmlichen, immer unaufgeräumten Wohnung. Ist es die Exotik des Anderen, der Ruch des Unerlaubten, die Lust am Abenteuer - die so anziehend wirken? Die beiden lässigen Habenichtse werden jedenfalls von einer ganzen Schar weißer, gutbetuchter Bürgerstöchter umschwärmt und heiß begehrt. Mit seiner Mischung aus Leidenschaft und Coolness machte das 1985 im Original erschienene Buch den Autor über Nacht berühmt.
"Desorientale" von Négar Djavadi
Die im Iran geborene Négar Djavadi war elf Jahre alt, als sie zu Pferd mit ihrer Mutter und den Schwestern über Kurdistan vor den Folgen der iranischen Revolution floh. Ihr Vater war ein bekannter Intellektueller. Er musste das Land schon vorher verlassen, um seiner Hinrichtung zu entgehen. In Frankreich traf die Familie 1981 wieder zusammen.
"Im Iran zu leben, bedeutete kurz nach der Revolution, dass man von einem Tag auf den anderen tot sein konnte. Es war sehr beängstigend. Mein Vater lebte nicht mehr bei uns. Meine Mutter war allein. Meinen Eltern drohte die Verhaftung. Dennoch: Den Iran zu verlassen war gut für uns Kinder, nicht für unsere Eltern." Davon erzählt Négar Djavadi, die eigentlich als Drehbuchautorin und Regisseurin arbeitet, in ihrem autobiografischen Debütroman "Desorientale".
Vor allem die Mutter der Ich-Erzählerin Kimia fühlt sich fremd in Paris. Während sich das Mädchen rasch dem neuen Alltag verschreibt, träumt ihre Mutter vom früheren Leben im Iran. Doch auch Kimia, die versucht, die Vergangenheit auf Distanz zu halten, wird von eben dieser bald eingeholt. Djavadi schildert in bildreichen Passagen einen durch enge Familienbande geprägten Alltag im Iran vor und während der Revolution.
"Ma" - Aya Cissoko setzt der Mutter ein Denkmal
Als Tochter malischer Einwanderer wurde Aya Cissoko 1978 in Paris geboren. Sie war sieben Jahre alt, als die Unterkunft der Familie plötzlich in Flammen stand, und das Mädchen ihren Vater und ihre kleine Schwester verlor. Cissoko hat bereits in ihrer Autobiografie "Würde" von dem vermutlich von Rechtsradikalen verübten Brandanschlag erzählt. In ihrem abermals entlang eigener Erfahrungen geschriebenen Debütroman "Ma" setzt sie ihrer Mutter ein Denkmal.
"Es war der Anfang eines neuen Lebens. Plötzlich wurde meine Mutter zum Familienoberhaupt. Doch sie hatte keinerlei Erfahrung damit, wie sie die Familie durchbringen sollte. Zuvor musste sie sich nur um den Haushalt kümmern. Jetzt ging es darum, auch Geld zu verdienen. So wurde sie unabhängig. Sie hat mir diesen Geschmack der Unabhängigkeit vermittelt. Und sie hat anderen Frauen vorgelebt, dass es Alternativen zur üblichen Rollenverteilung in afrikanischen Familien gibt. Meine Mutter machte ihren Job schlichtweg besser als viele Männer."
Aya Cissokos in einfachen Worten erzählter Roman, der vor allem durch die Wucht der Geschichte besticht, ist ein nachträgliches Geschenk an ihre 2014 verstorbene Mutter. Die Frau, die zeitlebens Analphabetin geblieben ist, ließ sich nie unterkriegen.
Service
Alain Mabanckou, "Die Lichter von Pointe Noir", aus dem Französischen von Holger Fock und Sabine Müller, Liebeskind; Originaltitel: "Lumières de Pointe-Noire"
Dany Laferrière, "Die Kunst, einen Schwarzen zu lieben ohne zu ermüden", aus dem Französischen von Beate Thill, Wunderhorn; Originaltitel: "Comment faire l'amour avec un nègre sans se fatiguer"
Négar Djavadi, "Desorientale", aus dem Französischen von Michaela Meßner, C. H. Beck; Orientaltitel: "Désorientale"
Aya Cissoko, "Ma", aus dem Französischen von Beate Thill, Wunderhorn. Originaltitel: "N'ba, ma mère"