APA/ROBERT JÄGER
Hexen, Jäger und Inquisitoren
Daniel Kehlmanns Roman "Tyll"
"Tyll" heißt der neue, mit Spannung erwartete Roman von Daniel Kehlmann. Im Zentrum des Geschehens steht der Narr der Narren: Till Eulenspiegel. Kehlmann hat den berüchtigten Faxenmacher ins Zeitalter des Dreißigjährigen Kriegs versetzt. Und überrascht auch sonst mit interessanten Einfällen.
11. November 2017, 02:00
Kulturjournal | 11 10 2017. Interview
"Der ursprüngliche Narr ist kein Entertainer, sondern eher ein Soziopath." Daniel Kehlmann
Mittagsjournal | 11 10 2017
Nein, ein ausgesprochener Sympathler war er nicht, dieser Till Eulenspiegel. Schon im berühmten Volksbuch von 1515 kaspert sich der Erzschelm mit der Narrenkappe als anarchistischer Spaß-Guerillero durch die Welt, indem er seinen Schabernack vorwiegend auf Kosten anderer treibt. Daniel Kehlmann weiß um den ambivalenten Charakter des Narren-Archetyps, den Eulenspiegel verkörpert. Einerseits kann man durchaus seinen Spaß mit ihm haben, andererseits ist der Bursche auch ganz schön bösartig.
Die bösartige Dimension des Lachens
"Der Archetyp des Narren ist eben kein Entertainer, sondern ein Soziopath", weiß Kehlmann. "Er tut den Leuten richtig böse Dinge an. Das gehört bei ihm dazu. Vergessen Sie nicht: Es sind ja nicht die Menschen, die über Eulenspiegel lachen - es ist Eulenspiegel, der über die Menschen lacht. An dieser Figur lässt sich wunderbar zeigen, dass Lachen auch eine gewalttätige Dimension hat: Das Lachen bei Eulenspiegel hat immer mit Schadenfreude zu tun."
Mord und Folter
Daniel Kehlmanns Roman spielt auf dem Höhepunkt des Dreißigjährigen Kriegs. Eine dunkle Zeit: Die deutschen Lande sind von Heeren aller europäischen Großmächte devastiert, die Inquisition foltert und mordet, die Pest dezimiert ganze Landstriche. Tyll Ulenspiegel und seine Freundin Nele müssen sich in einer Umgebung behaupten, die von ungeheurer Brutalität geprägt ist. Mit spürbarer Freude am Detail schildert Kehlmann eine vormoderne, in vielem noch magisch bestimmte Welt.
Hexen, Geister und Dämonen
"Im Barock hat man nicht zwischen rationalen und nicht-rationalen Weltbildern unterschieden", erklärt Kehlmann. "Die Grenzen waren damals fließend, zum Beispiel auch in der Alchemie. Die Wegbereiter der modernen Wissenschaft haben bestimmte Dinge für existent gehalten, die wir heute Aberglauben nennen würden. Es gab damals zum Beispiel einen Wissenschaftszweig, die Drakontologie, also die Drachenkunde, der von den Forschern absolut ernst genommen wurde."
Die Welt ist aus den Fugen
Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer: Ein Satz, der als Motto über Kehlmanns düsterem Roman stehen könnte. Es gibt wenig zu lachen, wenn Ulenspiegel, der König der Possenreißer, sich da durch die prä- oder post-apokalyptischen Landschaften des Dreißigjährigen Kriegs g'spassettlt. Aber wer weiß': Vielleicht ist der Narr ja der einzig Vernünftige in einer aus den Fugen geratenen Welt.
Service
Daniel Kehlmann, "Tyll", Roman, Rowohlt-Verlag, Hamburg, 480 Seiten