Halbes Gesicht auf Hausfassade

ORF/JOSEPH SCHIMMER

Die Erforschung der Einsamkeit

Einsamkeit sei für ihn die Höhe des Luxus, soll der Modedesigner Karl Lagerfeld einmal in einem Interview über die Quelle seiner Kreativität gesagt haben. Franz Kafka erklärte einst: "Was ich geleistet habe, ist nur ein Erfolg des Alleinseins."

Die zeitweise Einsamkeit kann kreative Feuer entfachen. In der Beschäftigung mit uns selbst stoßen wir auf das, was uns besonders macht, was uns von anderen unterscheidet und im sozialen Miteinander nicht so viel Platz hat, weil der Mensch in Gesellschaft anpassungsfähig und kompromissbereit sein muss.

Doch immer mehr Menschen klagen darüber, unfreiwillig einsam zu sein. Einsamkeit, sagen Wissenschaftler/innen, sei eine schleichende Epidemie.

"Der Starke ist am mächtigsten allein."
Friedrich Schiller, Wilhelm Tell

Eine geläufige Definition von Einsamkeit ist folgende: Es ist ein subjektiv erfahrener Zustand, bei dem ein Mensch sich mehr Sozialkontakte wünscht, als er in der Realität hat. Während es also Menschen gibt, die mit Freude allein sind, kann es ernsthafte gesundheitliche Konsequenzen haben, wenn man sich chronisch einsam fühlt: Es sei so schädlich wie 15 Zigaretten pro Tag zu rauche und schädlicher als keinen Sport zu treiben oder adipös zu sein, behaupten Wissenschaftler/innen. Hoher Blutdruck, Herzkrankheiten, Krebs: Einsamkeit ist nicht nur eine Folge von Armut und Krankheit, sondern oft auch ihr Auslöser.

Einsamkeit betrifft nicht nur ältere Menschen: eine aktuelle Studie besagt, dass gerade die 18- bis 35-Jährigen sich besonders häufig einsam fühlen. Die Menschen mit den meisten Facebook-Freunden sind oft auch die einsamsten, hat man herausgefunden. Statistisch lässt sich zwar nicht belegen, dass es heute mehr einsame Menschen gibt als zu anderen Zeiten. Doch in Großbritannien klagen laut einer Umfrage bereits neun Millionen Menschen über Einsamkeit.

"Es ist schlimm, erst dann zu merken, dass man keine Freunde hat, wenn man Freunde nötig hat." Plutarch

Eine Kommission wurde gegründet, eine Einsamkeitsministerin bestellt, um gegen die Vereinsamung etwas zu tun. Es geht dabei nicht nur um soziales Engagement. Es geht um die Zukunft der Demokratie, sagen Wissenschaftler. Menschen, die kein soziales Netz haben, wenden sich verständlicherweise von der Gesellschaft ab.

Häufiger Arbeitsplatz- und damit verbundener Wohnortwechsel, prekäre Arbeitsverhältnisse und brüchige Familien verstärken die Tendenz der Vereinzelung. Ob das durch oberflächliche Social-Media-Kommunikation ausbalanciert werden kann, ist fraglich.

"Wenn Sie es wagen, wirklich Sie selbst zu sein, werden Sie einsam sein." Rollo May

Doch es gibt auch eine kulturelle Komponente der Einsamkeit: Wir leben in einer Gesellschaft, die den Einzelgänger feiert, meint der Soziologe Andreas Reckwitz. Es geht nicht mehr um das Gemeinsame, sondern um das Individuelle, das Einzigartige. Um das zu finden, gilt es, kreativ zu sein – und möglichst allein.

Denn, so erkannte der bereits verstorbene amerikanische Psychologe Rollo May: Nur wer die Angst vor dem Alleinsein überwindet, wird mit Kreativität belohnt werden. "Wenn Sie es wagen, wirklich Sie selbst zu sein, werden Sie einsam sein."

Gestaltung und Text: Hanna Ronzheimer

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