Claude Lanzmann

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Stimme der Shoah

Regisseur Claude Lanzmann ist tot

Die französische Filmregisseur und Autor Claude Lanzmann ist tot. Der Kinoessayist, der unter anderem mit dem neunstündigen Werk "Shoah" 1985 eines der zentralen Werke über den Holocaust schuf, verstarb im Alter von 92 Jahren, wie sein Verlag Gallimard mitteilte. Lanzmann war daneben auch zeitlebens als Schriftsteller tätig.

Zuletzt legte Lanzmann im Vorjahr "Vier Schwestern" vor, in dem er bis dato unveröffentlichtes Interviewmaterial aus "Shoah" verarbeitete. 2013 hatte Lanzmann den Goldenen Ehrenbären für sein Lebenswerk erhalten.

Bei der Berlinale 2013 erhielt Claude Lanzmann einen Goldenen Bär für sein Lebenswerk.

Bei der Berlinale 2013 erhielt Claude Lanzmann einen Goldenen Bär für sein Lebenswerk.

AFP/JOHN MACDOUGALL

Vergegenwärtigen der Vergangenheit

Das Vergegenwärtigen der Vergangenheit nannte Claude Lanzmann seine Arbeit. Dabei holte er Ereignisse in die Gegenwart zurück, die mit einem der dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte zu tun haben: dem Holocaust. Als Dokumentarfilmregisseur machte ihn vor allem seine Arbeit "Shoah" berühmt.

Als Schriftsteller beugte sich der Franzose, der mit dem Philosophen Jean-Paul Sartre befreundet und mit der Feministin Simone de Beauvoir liiert war, vor allem über sein eigenes Leben. Zu seinem 90. Geburtstag im Jahr 2015 erschien sein Buch "Das Grab des göttlichen Tauchers". Der Titel bezieht sich auf die 1968 entdeckten griechischen Grabmalereien in der Ruinenstätte Paestum etwa 90 Kilometer von Neapel entfernt. Sie zeigen einen nackten Mann, der von einem Sprungturm kopfüber ins azurblaue Meer springt. "Alle wichtigen Entscheidungen, die ich zu treffen hatte, waren wie Kopfsprünge, Sturzflüge ins Leere", begründete Lanzmann in seinem Vorwort die Wahl des Titels.

Wasserspringer als Metapher für sein Leben

Lanzmann machte diesen Wasserspringer zu einer Metapher für sein Leben. Er hätte stets nach der Wahrheit getaucht und nicht nur im Meer, wie er auf den ersten Seiten schrieb. Er forderte deshalb auch den Rang des Tauchers für sich ein. Zu den Abenteuern, die er nicht zurückgewiesen hatte, gehörten sein Engagement in der Résistance, der französischen Widerstandsbewegung, sein Holocaust-Film "Shoah" und das Buch "Der patagonische Hase". Mit dem Memoirenband, der 2010 auch auf Deutsch erschien, hatte sich der gebürtige Pariser noch in hohem Alter in seine Karriere als Schriftsteller gestürzt - und erfolgreich sein Debüt gefeiert.

In dem "Grab des göttlichen Tauchers" nahm er erneut sein Leben unter die Lupe - jedoch das als "Schreiber", wie er sich zu dieser Zeit selber nannte. Bevor Lanzmann zu einem der bedeutendsten Dokumentarfilmer über den Holocaust wurde, hat er als Journalist für verschiedene Medien gearbeitet, darunter auch für die von Jean-Paul Sartre gegründete Zeitschrift "Les Temps modernes". Und so vereinte Lanzmann in dem Buch seine Reportagen und Artikel über Israel, den Dalai Lama, den Algerienkrieg oder den deutschen Regisseur Rainer Werner Fassbinder.

Meilenstein "Shoah"

Zusammen mit seinem Bruder und seiner Schwester engagierte er sich noch als Schüler in der Résistance, der französischen Widerstandsbewegung gegen das kollaborierende Vichy-Regime. "Ich habe mehrere deutsche Soldaten getötet", erklärte er in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur vor einigen Jahren. Seine Erfahrungen mit dem Antisemitismus hielten ihn jedoch nicht davon ab, nach dem Ende des Krieges nach Deutschland zu gehen, um dort Philosophie zu studieren.

Lanzmann war eine Kämpfernatur. Er galt als hartnäckig, eisern und kompromisslos. Ohne diese Eigenschaften wäre sein Meisterwerk "Shoah" wahrscheinlich nie zustande gekommen. Zwölf Jahre waren notwendig, um einen der radikalsten Filme über die Vernichtung europäischer Juden im Nationalsozialismus zu drehen. Jahre voller Widerstände und Hindernisse, denn Lanzmann ließ in dem mehr als neunstündigen Film Opfer und Täter zu Wort kommen.

Claude Lanzmann und Benjamin Murmelstein, Filmstill aus "Der Letzte der Ungerechten"

FILMLADEN FILMVERLEIH

Der letzte der Ungerechten

In "Warum Israel", seinem ersten Film aus dem Jahr 1972, zeigte er die Notwendigkeit eines jüdischen Staates auf und in "Sobibor" verarbeitet er den Aufstand in dem gleichnamigen Vernichtungslager. Sein filmisches Wagnis "Der letzte der Ungerechten" präsentierte er im Jahr 2013 auf dem Filmfestival in Cannes, das im selben Jahr bei der Viennale auch seine Österreich-Premiere feierte. Mit der Dokumentation wollte Lanzmann Benjamin Murmelstein rehabilitieren, den letzten Vorsitzenden des Judenrates von Theresienstadt. Dem mittlerweile verstorbenen Rabbiner wurde Kollaboration mit den Nazis vorgeworfen.

Noch 2017 präsentierte er beim Filmfestival in Cannes außer Konkurrenz den Dokumentarfilm „Napalm“, für den er 2004 und 2015 in das diktatorisch geführte Nordkorea gereist war. Der Tod und die Suche nach Wahrheit waren die großen Themen, um die sich Claude Lanzmanns Schaffen drehte.

Text: APA/dpa, Red.; Audios: ORF

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Le Monde - Le journaliste et cinéaste Claude Lanzmann est mort