Timothy Snyder

Timothy Snyder - ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

Demokratie in Gefahr

Timothy Snyder bei Vienna Humanities Festival

"Macht & Ohnmacht" - das ist das Thema des Vienna Humanities Festival, das sich heuer "der Krise der Demokratie und dem Erstarken autoritärer Kräfte" widmen will. Den Auftakt zu den 40 Vorträgen und Gesprächen, die bis Sonntag stattfinden werden, bestreitet heute Abend im Wiener Rathaus der renommierte US-amerikanische Historiker Timothy Snyder, Professor an der Yale University. In seinem neuen Buch analysiert er die weltpolitische Lage seit dem Fall des Eisernen Vorhangs. Der Titel: "Der Weg in die Unfreiheit: Russland - Europa - Amerika".

Morgenjournal | 27 09 2018

Kristina Pfoser

Kulturjournal | 27 09 2018 | Interview

Kristina Pfoser

Es ist eine beklemmende Analyse der Gegenwart, die Timothy Snyder hier ausbreitet, genauer gesagt: Er erklärt, warum die weltpolitische Lage so aus dem Ruder läuft. Snyder beschreibt den Aufstieg einer neuen "rechten Internationalen" und zeigt, wie sehr die Grundlagen unserer Demokratie in Gefahr sind.

"Wir bewegen uns auf eine neue Unfreiheit zu"

Eine Wurzel des Übels der unbeirrbare Glaube an die Macht des Fortschritts, von dem sich die Amerikaner und Europäer lenken ließen, der Glaube, dass es keine Alternative gebe zu Marktwirtschaft und Demokratie, zu Frieden und Wohlstand.

Russische Exporte

"Leider haben wir daran geglaubt und leider haben wir eine neue Generation in diesem Glauben erzogen, und das ist leider falsch. Wenn wir unter dieser Illusion leiden, heißt das, wir merken nicht, wenn sich die Zeit ändert, wenn Feinde der Demokratie auf den Plan treten, wir merken nicht, wie fragil unser System ist", sagt Timothy Snyder.

Ausgangspunkt ist also eine Realitätsverweigerung: Denn nach dem Fall des Eisernen Vorhangs habe die erwartete Verwestlichung und Demokratisierung des so genannten Ostens nicht stattgefunden, im Gegenteil. "Wir waren nicht imstande, unsere Werte und Vorstellungen zu erklären und zu exportieren, es ist eher umgekehrt", meint Snyder. "Das, was man in Russland sieht, kommt zu uns. Trump ist ein sehr gutes Beispiel."

Die neue Unfreiheit

Weitere Beispiele sind die Ersetzung von Politik durch Propaganda, der Wahlsieg von Kaczynskis PIS, die Erfolge der Front National oder auch der Aufstieg der AfD - die Fakten sind zahlreich, die Timothy Snyder als Beleg für seine These heranzieht, die These von der neuen Unfreiheit, auf die wir uns zubewegen.

Timothy Snyder

ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

"Wenn man den Blick auf Russland richtet, wo es keinen Rechtsstaat gibt und wo Ungleichheit ein großes Problem ist, aber wo man mit Illusionen leben kann - das ist für manche sehr attraktiv, auch hier in Österreich", sagt Timothy Snyder und er fügt hinzu: Die Sympathie, die österreichischer Politiker und Politikerinnen für Russland hegen, sei ihm völlig rätselhaft.

Politik der Verantwortlichkeit

"Gut, Russland ist ein interessantes Land, man kann natürlich Handel treiben, es gibt auch interessante Denker, kein Zweifel, aber dass es da eventuell ein anderes System gibt, das sich jetzt nach und nach auch in Europa entwickelt - ich fürchte, die österreichischen Politiker haben das nicht verstanden. Unser Glaube an die Kraft der demokratischen Institutionen wird uns jedenfalls nicht helfen", meint Timothy Snyder. "Die Institutionen sind nicht stark genug, sie sind nie stark genug. Wenn wir glauben, dass sie uns retten, haben wir schon verloren."

Sein Buch schließt er mit einem Appell: "Wenn wir die Geschichte so sehen, wie sie ist, sehen wir unseren Platz in ihr, sehen, was wir verändern und wie wir uns verbessern könnten. Wir stoppen unsere gedankenlose Reise von der Unausweichlichkeit zur Ewigkeit und verlassen den Weg in die Unfreiheit. Wir beginnen mit einer Politik der Verantwortlichkeit."

Service

Vienna Humanities Festival - 27. bis zum 30. September 2018

Timothy Snyder, "Der Weg in die Unfreiheit: Russland - Europa - Amerika", C.H.Beck

Übersicht