Ulrich Wilhelm

APA/GEORG HOCHMUTH

ARD-Vorsitzender Ulrich Wilhelm

Die Vision eines Euro-Algorithmus

Der Intendant des Bayerischen Rundfunks und Vorsitzende der ARD, Ulrich Wilhelm, tritt für eine europäische Medien-Plattform ein, die YouTube und Facebook etwas entgegensetzen kann. Über sein ambitioniertes Vorhaben spricht Wilhelm im #doublecheck-Interview mit Stefan Kappacher.

Es ist eine große Vision, die der ARD-Vorsitzende hat und die zuletzt vom deutschen Handelsblatt als "europäisches YouTube" zugespitzt worden ist. Viele Medienmacher halten es wie Ulrich Wilhelm für wünschenswert, dass es eine Alternative zu Facebook, YouTube & Co gibt, allein die Zuversicht fehlt vielen. Und Wilhelm kann das verstehen. Es sei eine Glaubensfrage, ob man Europa die Umsetzung einer solchen Plattform zutraut oder nicht. Wilhelm meint, es geht - und verweist auf Erfolgsprojekte wie Airbus und Galileo: "Wenn man wirklich die Priorität definiert, wird es gelingen."

Weg vom amerikanischen Business

Unterscheiden soll sich die europäische Medienplattform durch ein anderes Geschäftsprinzip, sagt Wilhelm. Derzeit arbeiten soziale Netzwerke mit dem "Geschäftsmodell der Amerikaner", sprich: Die Nutzer bekommen aufregende, emotionale und zugespitzte Inhalte, die ihre eigenen Ansichten bestätigen. Bezahlt wird dafür mit Daten. "Der Kunde lässt sich vermessen und bekommt dafür die Inhalte, für die er sich begeistern kann", so der ARD-Vorsitzende.

ARD-Vorsitzender Ulrich Wilhelm im Interview mit Stefan Kappacher

Werte statt nur Selbstbestätigung

Die europäische Alternative, die Wilhelm vorschwebt, sollte mit einem Algorithmus arbeiten, der Inhalte bevorzugt, die "das ganze Bild zeichnen" und überprüft und belegt sind. Richtlinie sollten journalistische Qualitätskriterien sein. "So etwas zu schaffen, das die Werte Europas, die Werte freiheitlicher Demokratien nach unserem geschichtlichem Erleben stärker berücksichtigt, wäre aus meiner Sicht eine große und notwendige Aufgabe."

Nutzerdaten kontrolliert für Private

Auf der Plattform sollen nicht nur öffentlich-rechtliche Medien vertreten sein, sondern auch Private. Für diese privaten Medien sind Erlösmodelle vorgesehen, also die Chance, auf der Plattform auch Geld zu verdienen - etwa indem sie Zugang zu den Nutzerdaten bekommen. Allerdings, schränkt Wilhelm ein, "zu unseren Bedingungen von Datenschutz und Schutz der Privatsphäre".

Frankreich und Deutschland als Motor

Die amerikanischen Plattformen Facebook, Google und Amazon haben im Netz eine enorme Marktmacht. Neben ihrer Kapitalstärke sitzen sie auch auf einem riesigen Datenschatz. "Aus eigener Kraft wird es für europäische Start-Ups schwierig, hier etwas entgegenzusetzen", sagt Wilhelm. Daher brauche es eine politische Initiative, die Staaten müssten in die Pflicht genommen werden. Denn, so Wilhelm: "Wenn es in Gesprächszirkeln auf Dauer versandet, dann ist es tot." Die Hoffnung ruht auf Deutschland und Frankreich. Und das Vorbild für einen staatlichen Anschub sind ausgerechnet die USA. "Das Silicon Valley ist nicht allein aus unternehmerischer Initiative entstanden, sondern hatte vielfach die Begleitung des Staates."

Zu Hause bäckt man kleine Brötchen

Zweifel, ob so etwa auf europäischer Ebene gelingen kann, kommen nicht zuletzt dadurch auf, als es selbst auf nationaler Ebene schwierig ist, gemeinsame Plattformen von Medien zu schaffen. Der ARD-Vorsitzende meint aber, dass es auf europäischer Ebene sogar leichter sein könnte – "weil sich dann alle bewegen müssen". Zu Hause bäckt nämlich auch Wilhelm noch kleine Brötchen: Er möchte mit den deutschen Zeitungen eine gemeinsame Video-Plattform etablieren, wie sie Zeitungen, ORF und Austria Presse Agentur in Österreich längst umgesetzt haben. Deutschland ist daran bisher gescheitert.

Übersicht