Innenminister Herbert Kickl

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Pressefreiheit in Österreich

Blaues Auge für die Medienfreiheit

Ein offizielles E-Mail aus dem FPÖ-geführten Innenministerium an die Polizei-Dienststellen, wonach kritische Medien nur noch sparsam mit Informationen zu versorgen sind. Ein Aufschrei, der daraufhin durchs Land gegangen ist – und die wachsende Sorge in Europa, Österreich könnte in autoritäre Gefilde à la Ungarn abgleiten. Der Kampf um die Pressefreiheit sei im Gang, schreibt das deutsche "Handelsblatt". Der Ausgang: offen.

Namentlich der "Kurier", der "Falter" und der "Standard" - als dem Innenministerium gegenüber besonders kritische Medien - sollten nur noch mit dem nötigsten Maß an Informationen bedacht werden, schrieb Ressortsprecher Christoph Pölzl in seinem umstrittenen Mail. Das Echo war gewaltig, ging es hier doch um eine zentrale Errungenschaft des demokratischen Rechtsstaates: Plötzlich war die Pressefreiheit in Gefahr.

Herbert Kickl

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Hektik zwischen Wien und New York

Entsprechend rasch kamen die Dementis. Der Bundeskanzler ließ von der UNO-Generalversammlung in New York aus wissen, dass niemand daran denke, die Pressefreiheit einzuschränken. Und auch der ebenfalls aus New York in die ZIB2 geschaltete Bundespräsident versicherte, dass die Medienfreiheit in Österreich nicht angetastet werde. Der Innenminister hat sich erst nach den Statements der Staatsspitze von der Formulierung in dem Mail distanziert. Im Nationalrat ging Herbert Kickl dann zum Gegenangriff auf die Opposition über.

Subtile ÖVP-Kritik an Minister Kickl

Und das, obwohl ihm nicht einmal der Koalitionspartner ÖVP die Stange hielt. Auf Regierungsebene entkam zwar keinem ein kritisches Wort zu Kickl, nicht einmal dem Medienminister, aber im Nationalrat wurde Sicherheitssprecher Werner Amon so deutlich, wie es eben in einer Koalition geht: "Wir lehnen den Misstrauensantrag gegen den Innenminister ab. Aber um es mit Bert Brecht zu sagen: Vertrauen erschöpft sich, indem man es in Anspruch nimmt."

Offenes Misstrauen der Medienbranche

Aus der Medienbranche schlägt Kickl offenes Misstrauen entgegen. Bei den Österreichischen Medientagen, die heuer ihr 25-jähriges Bestehen feiern, gab es zu Beginn Appelle auf dem Podium zur Wahrung der Pressefreiheit. "1848 wurde die Pressefreiheit erkämpft, und 2018 lassen wir sie uns nicht nehmen", sagte Marlene Auer vom Manstein-Verlag, der die Medientage veranstaltet. Eine rote Linie sei überschritten worden, hieß es dort. Christoph Kotanko, Innenpolitik-Routinier bei den "Oberösterreichischen Nachrichten", sagt: "Ich bin gegen den hysterischen Dauerton, wo immer etwas untergeht oder schon untergegangen ist. Aber es ist ein Weckruf und schärft die Aufmerksamkeit der gesamten Branche."

Weckruf, der Aufmerksamkeit schärft

Ähnlich Manfred Perterer, Chefredakteur der "Salzburger Nachrichten". Er erinnert an Jörg Haider: "Auch Haider hat davon geträumt, dass er dereinst in den Redaktionsstuben für Ordnung sorgen wird. Das hat uns damals schon alarmiert. Und so ähnliche Tendenzen zeigen jetzt manche Freiheitliche." Der neuen "Kurier"-Chefredakteurin Martina Salomon gehen diese Befunde zu weit, sie hält die Aufregung für übertrieben.

Neue "Kurier"-Chefin sieht Überreaktion

"Es war natürlich dumm und dilettantisch, wie es leider manchmal ist bei freiheitlichen Politikern. Aber diesen Druck, dass man sagt, irgendwelche Journalisten kriegen jetzt keine Exklusivinformationen mehr von mir – den gab es vorher auch schon. Es ist nur unklug, das zu verschriftlichen." So Martina Salomon. Ihr Vorgänger Helmut Brandstätter hat im "Kurier" das geschrieben: "Kickl schafft sich ohnehin seine eigene Medienwelt, indem er mit viel Steuergeld Kamerateams beschäftigt, die sein Wirken auf der Website des Ministeriums oder auf Facebook bejubeln. Gleichzeitig will er verhindern, dass anständige Journalisten einfach ihren Job machen." Brandstätter hat sogar das Anti-Trump-Motto der "Washington Post" zitiert: "Democracy dies in Darkness."

Chef-Wechsel mit Polizeipferdefuß?

Die Diskrepanz zwischen diesen beiden journalistischen Positionen ist es, die Gerüchte nährt: Salomon habe Brandstätter deswegen ein Jahr vor Auslaufen seines Vertrages abgelöst, weil das bürgerliche Blatt im Mehrheitseigentum von Raiffeisen regierungsverträglicher werden solle. Tatsächlich ist der "Kurier" zuletzt durch seine regierungskritischen Artikel etwa zur BVT-Affäre, aber auch in Sachen Polizeipferde aufgefallen. Salomon habe dahingehend vor ihrer Bestellung sogar mit Bundeskanzler Sebastian Kurz gesprochen, heißt es hinter vorgehaltener Hand. Die "Kurier"-Chefredakteurin bezeichnet das als Denunziation. Das Treffen mit Kurz dementiert sie nicht.

"Wir könnten zurückhaltender sein"

Wird sich die Linie des "Kurier" jetzt ändern? Salomon: "Wir bleiben bei unserer kritischen Berichterstattung. Ich stehe aber sehr für eine sachliche Berichterstattung und dafür, dass eine Qualitätszeitung, die wir sein wollen und die wir auch sind, Bericht und Kommentar trennt. Ich stehe nicht für Kampagnenjournalismus zur Verfügung.“ Hat der Kurier das bisher gemacht? "Es gab ein paar Dinge, wo ich schon das Gefühl habe, wir könnten ein bisschen zurückhaltender sein", so Martina Salomon.

Ministerium outet Mails von "Falter"-Chef

Keine Zurückhaltung kennt in diesen Tagen der "Falter", der wie der "Kurier" und der "Standard" sozusagen auf der blauen Liste des Innenministeriums steht. "Falter"-Chefredakteur Florian Klenk hat diese Woche mit einer Titelgeschichte über Herbert Kickl nachgelegt. "Wie gefährlich ist dieser Mann?" steht auf dem aktuellen Cover. Die Begleitmusik stellt eine weitere Eskalation im Verhältnis zwischen FPÖ-Regierungspolitik und Journalismus dar: Das Innenministerium wirft Klenk vor, nicht sauber recherchiert zu haben - und als Beweis wurde der E-Mail- und SMS-Verkehr mit dem Journalisten veröffentlicht - ohne dessen Einverständnis. Mutmaßlich eine grobe Verletzung des geltenden Datenschutzrechts. Selbst regierungsnahe Berater wie Daniel Kapp haben sich auf Twitter mit Florian Klenk solidarisiert.



Auch die SPÖ wollte Medien schneiden

Natürlich hat es immer wieder Versuche von Politikern gegeben, Medien zu schneiden. Unter SPÖ-Kanzler Christian Kern gab es einen Inseratenboykott gegen Wolfgang Fellner, und ein Kern-Mitarbeiter hat ein internes Strategiepapier geschrieben, wie man dem ORF eins auswischen könnte. Der ORF - namentlich Peter Resetarits beim Bürgerforum - hat nämlich unbotmäßig moderiert, befand das Team des damaligen Kanzlers. Das Papier ist im Zuge der Silberstein-Affäre geleakt worden und wird von FPÖ-Seite oft und gern zur Verteidigung von Herbert Kickl ins Treffen geführt.

"Anti-FPÖ-Reflex von Journalisten"

Auch "Kurier"-Chefin Salomon verweist auf das Beispiel Kern, damals habe sie einen ähnlichen Aufschrei wie heute vermisst, sagt sie. Und dass sie da eine FPÖ-Argumentation stütze, sei ihr gar nicht bewusst gewesen. Sie habe aber auch kein Problem damit, sagt Salomon: "Es ist so ein journalistischer Reflex - und den möchte ich im "Kurier" auch nicht haben – zu sagen, alles, was von den Freiheitlichen kommt, ist Nazi und schrecklich und kann nur deppert sein."

"Kein Reflex, sondern Kalkül"

Für Christoph Kotanko ist es kein Reflex: "Ich halte diese Aufregung für höchst gerechtfertigt. Es geht nämlich darum, dass eine staatliche Stelle – das Bundesministerium für Inneres – die nachgeordneten Dienststellen anweist oder auffordert, auf eine bestimmte Weise vorzugehen. Das ist in dieser Dimension bisher nicht vorgekommen." Gerold Riedmann, Chefredakteur der "Vorarlberger Nachrichten", hat auf seinem Twitter-Account den Tweet angeheftet: "For the record. Bin kein linker Journalist. Bin kein rechter Journalist. Bin nur Journalist." Riedmann kann als einer der schärfsten Kritiker des Innenministers gelten.

Harte Bandagen aus dem Ländle

Der VN-Chefredakteur hält Herbert Kickl in dieser Funktion für untragbar und sagt das auch. "Nicht alles, was die Regierung macht, ist schlecht. Ich glaube nur, dass die FPÖ für die ÖVP eine stärkere Belastung ist, als das ursprünglich geplant war – und dass jetzt alle das weglächeln müssen. Es geht darum, Vertrauensverlust zum Alltag zu machen, den Menschen auch Angst zu machen, und das sind Vorgänge, die ich nicht gutheiße." Christoph Kotanko von den OÖN bringt es so auf den Punkt: "Die Journalisten und Journalistinnen werden jetzt als Gegner gesehen, die man entweder ausgrenzt oder anfüttert."

Das Muster hinter dem Chaos

Der Kommunikationsexperte und Autor Walter Ötsch sieht ein Muster hinter dem, was im Kickl-Ressort geschieht. Der FPÖ gehe es erklärtermaßen darum, das System zu verändern. Das geschehe in kleinen Schritten und wirke - ähnlich wie bei Donald Trump in den USA - oft dilettantisch: "Nach außen wirkt es oft improvisiert bis chaotisch, nach innen ist es aber – durch Lenkung der Aufmerksamkeit – ein großer Erfolg für die Leute, die das machen." Und das wirke nach, es lasse Journalisten nicht unbeeindruckt, sagt Ötsch. Dazu trage auch das mediale Paralleluniversum der FPÖ auf Facebook bei, wo immer wieder Stimmung gegen Journalisten gemacht werde.

FPÖ spielt "Good Cop, Bad Cop"

Konkret berichtet Ötsch von Angriffen gegen die "Falter"-Redakteurin Nina Horaczek, mit der er das Buch "Populismus für Anfänger" geschrieben hat - das "Anfänger" bezieht sich nicht auf die FPÖ, die beherrscht ihr Geschäft - durchaus auch nach dem Muster von Good Cop und Bad Cop, wie Walter Ötsch sagt. Nobert Hofer und Heinz-Christian Strache, das seien die Guten. Kickl sei der Böse.

Das schlägt sich auch in der Berichterstattung nieder. Die "Kronen Zeitung" etwa hat den Hobby-Piloten Nobert Hofer in seiner kürzlich gekauften Cessna zu einem Wahlkampfeinsatz in Südtirol begleitet und mit freundlichen Bildern und schrägen Wortschöpfungen wie "Hof-Air" ins Blatt gehoben. Daneben ein Regierungsinserat zum Familienbonus, ganzseitig.

Das natürliche Verhältnis mit der "Krone"

Die vom Innenministerium als kritische Medien eingestuften Zeitungen - darunter der "Kurier" - haben vom Innenressort bisher kein einziges Inserat bekommen, die "Kronen Zeitung" schon. Das ist wahrscheinlich das, was der stellvertretende Krone-Chefredakteur Georg Wailand im ORF-Talk "Im Zentrum" als ein "ganz natürliches Verhältnis" bezeichnet hat: "Die größte Tageszeitung des Landes und ein wichtiges Ministerium, die sind in einem engen Kontakt." Und zwar so eng, dass dann auch einmal heikle Zahlen über Abschiebungen ungeprüft vom Innenressort übernommen und gleich mehrmals abgedruckt werden, wie der Medien-Watchblog Kobuk penibel dokumentiert hat. "Krone"-Online Chefredakteur Richard Schmitt war auch einer der ganz wenigen, die Innenminister Kickl nach Bekanntwerden des umstrittenen Mails in Schutz genommen haben.

Wo das Innenministerium inseriert

Norbert Hofer plötzlich Darling

Nobert Hofer kommt auch im kritischen "Kurier" plötzlich sehr gut weg. Ein Porträt über den FPÖ-Vize im Sonntags-Kurier: zuerst ein Seitenhieb für den Cessna-Artikel im Schwesterblatt "Krone" - und dann erfahren wir, dass sich Hofer nicht nur ein Flugzeug, sondern auch ein Motorrad gekauft, 15 Kilo abgenommen und sich ein agileres Image zugelegt habe. Ähnlich wichtige Informationen durfte Vizekanzler Strache in einer ORF-Sendung verbreiten: Was er isst, was er trinkt, wie viel er abgenommen hat. Und dass er sich Schuhe und Zähne putzt. Strache im Fitness-Studio.

Strache-Belangsendung im ORF

"Europa Backstage" heißt das, produziert von einer Fremdfirma und mit der Anmutung einer Informationssendung. Die Redakteursvertretung hat dagegen öffentlich protestiert, ORF-Chef Alexander Wrabetz - letztlich für den Beitrag verantwortlich - klingt nicht ganz glücklich darüber. "Ich hab es nicht so genau angeschaut. Es ist jedenfalls untypisch und sollte nicht die Regel werden." Es sind freilich noch weitere Folgen programmiert, zuletzt durfte ÖVP-Ministerin Elisabeth Köstinger gemeinsam mit der deutschen Amtskollegin Julia Klöckner ihr Babyglück auf Sendung auskosten.

Die Message Control tut ihre Wirkung

Die Message Control tut auch sonst ihre Wirkung. Die Forderung von Kanzler Kurz und Vizekanzler Strache an die Kollektivvertrags-Verhandler nach einem spürbaren Lohnanstieg hat flächendeckend in den Zeitungen ihren Niederschlag gefunden. An einem nachrichten-armen Samstag platziert, schaffte es die ungewöhnliche, aber sachlich völlig belanglose Meldung samt Originaltönen von Kurz und Strache sogar in die Zeit im Bild. Und natürlich haben Journalisten den Bundeskanzler zur UNO nach New York begleitet, die Zeitungen haben sich das zum Teil vom Kanzleramt zahlen lassen.

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