Sujet

THE EUROPEAN BALCONY PROJECT

Gewagte Idee mit enormem Echo

"European Balcony Project" - Künstler rufen die Republik Europa aus

Kein Europa der Nationalstaaten, sondern eines der gleichberechtigten Menschen - mit dieser Forderung werden am 10. November um 16:00 Uhr zahlreiche Künstlerinnen und Künstler von verschiedenen Balkonen in ganz Europa die Europäische Republik ausrufen.

Mittagsjournal | 30 10 2018

Judith Hoffmann

Erst im Frühjahr riefen die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot, der Schriftsteller Robert Menasse und die Kulturwissenschaftlerin Verena Humer die Idee ins Leben, schon kurze Zeit später sei das Echo enorm gewesen. "Derzeit stehen wir bei 350 Balkonen über ganz Europa verteilt, die sich am Projekt beteiligen werden", so Robert Menasse. Und täglich würden es mehr.

Vielleicht ein Indikator für die allgemeine Ratlosigkeit und Unzufriedenheit mit dem ins Stocken geratenen Projekt Europa und einer Europäischen Institution, die immer größere Skepsis auslöst. Die politische Elite habe die Europäische Grundidee aus den Augen verloren, sagt Menasse, und sei mehr damit beschäftigt ist, einen krisenhaften Status quo aufrechtzuerhalten, als im Interesse der Bürgerinnen und Bürgern zu handeln.

Warum nicht alle Europäer gleich sind

"Wir nennen uns zwar alle europäische Bürgerinnen und Bürger, haben aber alle völlig unterschiedliche Zugänge zu Bildung und Gesundheitssystem oder zahlen unterschiedlich hohe Steuern. Das ist grotesk", so Menasse. Zum Beispiel würde eine große Mehrheit der Europäer eine europäische Arbeitslosenversicherung goutieren, diese sei aber vom europäischen Rat abgelehnt worden, sagt Guérot: "Für Robert Menasse und ich ein Zeichen, dass die wahren Anliegen der Bürgerinnen und Bürger nicht ernst genommen werden."

Höchste Zeit also, so Guérot und Menasse, 100 Jahre nach Ende des Ersten Weltkriegs bzw. nach der Ausrufung verschiedener europäischer Republiken, neuerlich die Balkone Europas zu erklimmen, und mit der Verlesung eines Manifests nun die Europäische Republik auszurufen als ein demokratisches Gefüge der Regionen, der Menschenrechte und der sozialen und rechtlichen Gleichstellung aller Bürgerinnen und Bürger.

Manifest, Ausrufung und Diskussion

Nach der Verlesung des Manifests am Samstag, dem 10. November um 16 Uhr soll in den jeweiligen Theatern und Kulturinstitutionen über die Zukunft der Europäischen Demokratie diskutiert werden. Das Datum sei bewusst gewählt, so Guérot: "Im deutschsprachigen Raum ist der 9. November entscheidend, weil damals etwa die Republiken in Weimar, Ungarn oder Österreich ausgerufen wurden. In Frankreich ist es der 11. November. Wir wollten daher ein Datum, das beide historischen Ereignisse verbindet."

Künstler als politische Wegbereiter

Schon 1918 hätten Künstler jedenfalls eine wesentliche Rolle gespielt, erzählt Robert Menasse: "Immer zwei oder drei Wochen vor der offiziellen Ausrufung der Republiken wurden diese schon von Künstlern ausgerufen, übrigens auch von Balkonen herunter. In Österreich waren das etwa Franz Werfel, Egon Erwin Kisch und sogar Robert Musil." 100 Jahre später zählen nun Elfriede Jelinek, Milo Rau oder Navid Kermani zu den zahlreichen Teilnehmern des Projekts.

Netzwerk der Freiwilligen

Getragen wird das "European Balcony Project" durch viele ehrenamtliche Mitarbeiter. Eine Crowdfunding-Aktion brachte außerdem 30.000 Euro ein - "Peanuts", wie Ulrike Guérot betont: "Hätten wir die Millionen, die die EU in den letzten Jahren dafür ausgegeben hat, um ihre Bürger über die Struktur und Organisation zu informieren, wäre die Europäische Republik längst da!"

Spannend und wohl eher fraglich bleibt jedenfalls, ob der künstlerischen Aktion - wie vor 100 Jahren - auch eine politische folgen wird.

Service

European Balcony Project

Gestaltung

Übersicht