Figur des Schriftstellers Peter Altenberg, im Cafe Central

Café Central im Palais Ferstel, Wien

Peter Altenberg 100. Todestag

Der Chronist des Aschanti-Fiebers

Ö1 Schwerpunkt zum 100. Todestag des Schriftstellers Peter Altenberg

Noch heute erinnert im Wiener Café Central eine kitschige Skulptur an den sogenannten Wiener Kaffeehausliteraten Peter Altenberg. Das Kaffeehaus war für das Wiener Original tatsächlich Wohn- und Arbeitszimmer, ja sogar seine Post ließ sich der antibürgerliche "Schnorrer" (Selbstbezeichnung) ins Kaffeehaus schicken.

Die Etablierung als Dichter war für Richard Engländer, wie Altenberg mit bürgerlichem Namen hieß, nach seinem späten Debüt die Rettung vor der Stigmatisierung als Taugenichts. Seine Bildungs- und Berufskarriere war bis dahin enttäuschend verlaufen. Den hohen Erwartungen, die dem Spross aus einer reichen jüdischen Kaufmannsfamilie entgegengebracht wurden, war der originelle Leistungsverweigerer lang nicht gerecht geworden: Er fiel zunächst bei der Matura durch, studierte erfolglos Medizin, Jus und Botanik und brach eine Buchhandelslehre in Stuttgart vorzeitig ab.

Auf Empfehlung von Karl Kraus

Einer von Altenberg selbst propagierten Legende zufolge war es auch im Café Central, wo ihn Arthur Schnitzler, Hugo von Hofmannsthal und Richard Beer-Hofmann 1893 beim Schreiben einer seiner später berühmten Prosaskizzen geradezu ertappten. Der befreundete Karl Kraus schickte schließlich einen Packen seiner Texte mit einer Empfehlung an den Berliner Verleger Samuel Fischer. Altenbergs 1896 erschienenes Debüt "Wie ich es sehe" machte den Schriftsteller über Nacht berühmt. Die kurzen, anarchischen Prosaminiaturen wurden zum Markenzeichen des Autors, der seine moderne, poetologische Methode wie folgt beschrieb:

"Alles liegt zwischen den Zeilen. Zusammen mit dem Leser erst wird es etwas Tiefes."
Peter Altenberg

Im Sommer desselben Jahres wurde im Wiener Tiergarten am Schüttel ein ganzes afrikanisches Dorf mit strohgedeckten Hütten und offenen Werkstätten aufgebaut. Man bestaunte die Tänze, Rituale, Werkzeuge und Handwerkskünste der Afrikaner und Afrikanerinnen. Peter Altenberg verbrachte ganze Tage und Nächte in dem Aschanti-Dorf und verzichtete sogar auf den geliebten Aufenthalt zur Sommerfrische in Gmunden. Die Natur, die er bei diesen geliebten "black men" genieße, so Altenberg, sei schöner als die des Salzkammergutes - oder vielmehr dasselbe.

Ambivalente Haltung zur Völkerschau

Der schrullige Dichter mit den hippieartigen Holzsandalen, der schottischen Reisemütze und dem markanten Schnauzbart, den er sentimental zu beiden Seiten herabhängen ließ, spielte für Freunde und Bekannte gern den Führer durch das Dorf. Er genoss die Aufmerksamkeit, die den Aschanti und ihm als privilegiertem Feldforscher entgegengebracht wurde, arrangierte Opernbesuche und vermittelte für die jungen Afrikanerinnen sogar Einladungen zu Abendsoupers.

Seine Haltung zu der Völkerschau war durchaus ambivalent: Auf der einen Seite reflektierte er die kommerzielle Ausbeutung der Afrikanerinnen und Afrikaner und kritisierte, dass sie wie nackte Tiere ausgestellt wurden.

Sexuelle Ausbeutung

Auf der anderen Seite verklärte er das vermeintlich unverdorbene, bedürfnislose Naturvolk der Aschanti zu göttlichen, heiligen und unschuldigen Gesandten aus dem Paradies. Wiewohl er die sensationshungrigen Zuschauer/innen im Tiergarten als blöde, rohe, viehische, weiße Menschen bezeichnete, vergriff er sich lustvoll an den minderjährigen Mädchen, was ihm später den Vorwurf der Pädophilie einhandelte.

Die Aschanti-Völkerschau sollte für die schriftstellerische Karriere Altenbergs ein wichtiger Etappenschritt werden. Das Buch "Ashantee" erschien im Jahr darauf, rechtzeitig zur Wiederholung der Völkerschau - auf dem Cover ein stehendes und sitzendes Aschanti-Mädchen mit entblößten Brüsten. Die sexuelle Ausbeutung der Aschanti-Mädchen wurde so auf dem Feld der Literatur prolongiert, galt doch schon damals die Binsenweisheit des Buchmarketings: "Sex sells!"

Text: Johannes Gelich, Dieser Artikel enstammt der aktuellen Ausgabe des Ö1 Magazins "gehört".