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Der Fall Relotius
Der Journalismus im Zerrspiegel
Die Medien kämpfen täglich gegen den Lügenpresse-Vorwurf, wie er von rechtspopulistischen Parteien und deren befreundeten Hetz-Plattformen im Internet kommt - und ausgerechnet das renommierte Hamburger Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" hat jetzt aufdecken müssen, dass er selber eine große Zahl an Lügengeschichten verbreitet hat. Wie gehen die österreichischen Medien mit dem Fall Relotius um? Eine #doublecheck Bestandsaufnahme.
4. Februar 2019, 02:00
Um die Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen, hat das Magazin in der letzten Ausgabe des Jahres 2018 satte 23 Seiten der Fehlersuche und Aufklärung gewidmet. Die "Spiegel"-Chefredaktion steht massiv unter Druck, neue Verträge per Jahresbeginn sind auf Eis gelegt worden. Da wird noch einiges nachkommen, auch wenn man vieles schon weiß.
Produktionsbedingungen wie in Fergus Falls
Etwa dass sich Claas Relotius mehr als fünf Wochen auf "Spiegel"-Kosten in Fergus Falls, eine Kleinstadt im US-Bundesstaat Minnesota, aufgehalten hat - und praktisch alles, was er über die Stadt geschrieben hat, war gelogen. Reporterkollegen Christoph Lehermayr, der für "News" gearbeitet hat und jetzt bei der Rechercheplattform "Addendum" ist, schlagen die Hände über dem Kopf zusammen. "Von solchen Produktionsbedingungen können die meisten von uns nur träumen, dass man 38 Tage Zeit für das Porträt einer Stadt hat."
"Ich mach ein bisschen was interessanter"
Die Realität der meisten Reporter ist eine andere, weiß Petra Ramsauer, die unter anderem für das Wochenmagazin "profil" und die "NZZ am Sonntag" schreibt. Die Budgets der Redaktionen sind schmal, der Konkurrenzdruck unter den Kollegen ist groß, Geschichten mit besonderen Zugängen sind gefragt. Das begünstige Fälle wie Relotius: "Ich mache einmal ein bisschen was interessanter und merke, ich komme mit meinen Geschichten leichter durch. Das ist wie eine Einstiegsdroge, man macht dann immer mehr und plötzlich verliert man den Zugang zur Realität."
Faktencheck zum Selbstschutz
Ramsauer fotografiert an den Schauplätzen, von denen sie berichtet, und fertigt Protokolle an. Schon aus Selbstschutz, wie sie sagt: "Wenn ich einen einzigen Fehler mache, bin ich morgen meinen Job los. Ich kriege einfach keine Aufträge mehr."
Für Florian Skrabal von der Rechercheplattform "Dossier" ist das vorbildlich, was Ramsauer macht. Dokumentieren, um Geschichten überprüfbar zu machen, müsste eigentlich selbstverständlich sein – habe in Österreich aber keine Tradition. "Es gibt hier ein Manko bei der Recherche und beim Faktencheck, das ist in den meisten Redaktionen nicht vorhanden." Für "Dossier" war das eine Marktchance, die das junge Onlinemedium genutzt hat. Recherchen der Plattform kann man zukaufen, längst nicht mehr so billig wie beim Start des Projekts.
Gesundes Misstrauen gehört zum Geschäft
Wie funktioniert der Faktencheck bei "Dossier"? Skrabal: "Dass man Namen und Telefonnummern von Ansprechpersonen einer Recherche abgeben muss, das ist bei uns eine Selbstverständlichkeit. Es kann nicht sein, dass sich ein Kollege mir gegenüber auf den Informanten-Schutz beruft. Schließlich bin ich als Chefredakteur ja auch letztverantwortlich." Gesundes Misstrauen auch gegenüber Kollegen sei nichts Persönliches, so Skrabal. Das gehöre zum Geschäft.
"Datum" und "profil" als Relotius-Betrogene
Auch österreichische Medien haben Artikel von Relotius abgedruckt, "Datum"-Chefredakteur Stefan Apfl hat die Feiertage mit Faktenchecken verbracht. "Von den drei Geschichten, die im Datum erschienen sind, ist bei einer klar: Das war ein Fake. Und bei den anderen beiden gibt es zumindest Hinweise." Denen gehe man penibel nach, sagt Apfl. Auch das "profil" hat Relotius-Geschichten im Blatt gehabt, prüft den Lügengehalt aber noch. Herausgeber Christian Rainer kündigt für Mitte Jänner genauere Informationen an.
Blattmacher kündigen Kosequenzen an
Die Blattmacher wollen sich das alles zu Herzen nehmen und auch Lehren aus der "Spiegel"-Affäre ziehen. "Presse"-Chefredakteur Rainer Nowak sagt: "Transparenz ist jetzt sehr wichtig. Man wird keine Informanten oder Quellen preisgeben, aber je wenige wir aus unserem Beruf eine Geheimwissenschaft machen, umso besser." Und Stefan Apfl vom Monatsmagazin "Datum" betont: "Wir werden prüfen, wie unser Fact-checking eigentlich ausschaut, wie ist unsere Verbindung mit den Autorinnen und Autoren, wieviel läuft auf Vertrauen, wieviel soll so laufen."
"Du wirst in eine bestimmte Richtung erzogen"
Der profilierte Sportjournalist Johann Skocek hört die Botschaft, hat aber seine Zweifel, ob sich viel ändern wird. "Tatsache ist, dass die Tradition eines Mediums – wie es erzählt, wie es recherchiert, wie es Themen auswählt – ist immer stärker als der einzelne Chefredakteur." Skocek arbeitet heute als freier Publizist, gehörte aber über viele Jahre den Redaktionen von "Presse" und "Standard" an. "Du wirst in einer Redaktion in eine bestimmte Richtung erzogen und mit einer Kultur erfüllt. Wie ich in der Presse war, hat das geheißen Presse-like, wie ich beim Standard war hat es geheißen, das passt zum Standard oder das passt nicht zum Standard." Und was Claas Relotius geschrieben hat, sei eben typisch "Spiegel" gewesen.
Eine Frage von Spirit und Ressourcen
Roland Adrowitzer, Chef der ORF-Auslandskorrespondenten, weist da auf eine "Spiegel"-Geschichte über die politische Lage in Österreich im Vorjahr hin, einschlägige Regierungskritiker als Gesprächspartner und der Titel: "Kleiner Brauner". Man könne jeder Geschichte einen bestimmten Drall geben, sagt Adrowitzer. "Als ich einmal über Unruhen in England differenziert berichtet habe, da hätten schon einige - auch bei uns im ORF - erwartet, dass ich in das allgemeine Lamento einstimme, allein die soziale Kälte der konservativen Regierung sei an den Unruhen schuld."
Gut abgesicherte Reporter seien wichtig, damit sauber recherchiert wird, sagt Adrowitzer. Das spreche auch für das Korrespondenten-Netz des ORF. Petra Ramsauer nimmt diesen Ball auf: "Auslandsberichterstattung ist nicht nice to have, sondern ist seit spätestens 2015 ins Zentrum der politischen Auseinandersetzung gerückt." Dass dennoch so wenig Geld für fundierte Reportagen zur Verfügung gestellt werde, das sei geradezu fahrlässig.