
ORF/URSULA HUMMEL-BERGER
Kontext
Sachbücher und Themen
Von den Krisenherden dieser Welt über Entdeckungen der Neurowissenschaften bis zu den schönen Künsten. "Kontext" bietet Orientierungsservice im Sachbuch-Dschungel. Reportagen, Diskussionen, Rezensionen, Studiogespräche, Hintergrundberichte zu spannenden Büchern über Zeitgeschichte, Wirtschaft und Wissenschaft. Und ab und zu darf auch gelacht werden.
24. November 2023, 11:08

Sachbücher im November
Die monatlich erscheinende Sachbuch-Bestenliste der Medienpartner "Die Literarische Welt", Radiosender WDR 5, "Neue Zürcher Zeitung“ sowie Ö1.
Mehr dazu in oe1.ORF.at
Bartholomäus Grill: "Bauernsterben"
In den kultur- und debattenprägenden Großstädten noch kaum wahrgenommen, kündigt sich eine dramatische Krise auf dem Land an. Der ehemalige Afrika-Korrespondent des Magazins "Der Spiegel" und der Wochenzeitung "Die Zeit", Bartholomäus Grill, warnt nun vor einem weltweit agierenden Filz aus agrarindustriellen Konzernen, Banken und korrupten Politikern. Sie alle, so seine These, zerstörten die Grundlagen unseres Lebens.
Bartholomäus Grill, "Bauernsterben - Wie die globale Agrarindustrie unsere Lebensgrundlagen zerstört", Siedler Verlag
Brigitte Neumann
Brigitte Halbmayr: "Brüchiges Schweigen"
Vor 85 Jahren verschwand Österreich von der Landkarte, Menschen wurden aus rassischen und politischen Gründen verfolgt, das NS-Regime regierte mit starker Hand. Eine bis heute wenig beachtete Opfergruppe sind die sogenannten "Asozialen". Die Sozialwissenschaftlerin Brigitte Halbmayr hat diesen Personen bereits zwei ausführliche Publikationen gewidmet, nun hat sie sich ein Einzelschicksal genauer angesehen und verfolgt exemplarisch den Lebensweg von Anna Burger. Nach schwerer Kindheit kam diese als junge Erwachsene in Haft, wurde ins Frauenkonzentrationslager Ravensbrück überstellt und dort ermordet.
Brigitte Halbmayr, "Brüchiges Schweigen. Tod in Ravensbrück - auf den Spuren von Anna Burger", Mandelbaum
Ulli Jürgens
S. Weigelin-Schwiedrzik: "China und die Neuordnung der Welt"
Den Aufstieg zur zweitwichtigsten Wirtschaftsmacht der Welt ist geschafft, nun schickt sich China an, einen Platz im Zentrum des Weltgeschehens zu beanspruchen. Im Ukraine-Krieg steht China nicht auf der Seite des Westens, ist aber an einem raschen Ende des Krieges in der Ukraine interessiert. Sieht man doch angesichts der Abkoppelungsbestrebungen des Westens unter Führung der USA seine wirtschaftliche Zukunft in der Erschließung Russlands mithilfe chinesischen Kapitals. Für China ist dieser Krieg wie ein Strich durch die Rechnung. Folglich versucht sich China auch als Vermittler zu inszenieren. Folglich könne man die Welt nicht mehr ohne China denken.
Susanne Weigelin-Schwiedrzik, "China und die Neuordnung der Welt", Brandstätter
Studiogespräch: Wolfgang Ritschl
Florian Werner: "Die Zunge"
Ohne Zunge könnten wir nicht sprechen, nicht schmecken, nicht lecken, nicht küssen und noch vieles andere auch nicht. Doch sie ist nicht nur als Organ zentral, auch als Symbol hat sie einiges zu bieten. Provokant oder verheißungsvoll wird sie uns in Filmen, auf Werbeplakaten oder Albumcovern entgegengestreckt. Wenn die Zunge nun so wichtig ist, warum wissen wir so wenig über sie? Fragte sich der deutsche Literaturwissenschaftler und Autor Florian Werner und schrieb ein Porträt.
Florian Werner, "Die Zunge", Hanser Berlin
Ivo Kaufmann
Verena Moritz/Hannes Leidinger: "Lenin"
Im Jänner 1924 starb einer der einflussreichsten und umstrittensten Politiker des zwanzigsten Jahrhunderts an den Folgen mehrerer schwerer Schlaganfälle. Das Mausoleum, das ihm seine Nachfolger in Moskau errichtet haben, gehört bis heute zu den meistbesuchten Sehenswürdigkeiten der russischen Hauptstadt. Wladimir Iljitsch Uljanow, genannt "Lenin", hat das Zwanzigste Jahrhundert geprägt wie nur wenige Andere - als Erfinder des sogenannten "Marxismus-Leninismus", als Führer des Oktoberumsturzes von 1917 und als Mitbegründer der Sowjetunion. Zu Lenins hundertstem Todestag legen die Wiener Historiker Verena Moritz und Hannes Leidinger eine "Neubewertung" Lenins vor.
Verena Moritz und Hannes Leidinger: "Lenin - Die Biografie. Eine Neubewertung", Residenz Verlag
Philippe Sands: "Die letzte Kolonie"
Philippe Sands, der heuer mit dem Ehrenpreis des österreichischen Buchhandels ausgezeichnet wird, ist ein 1960 geborener britisch-französischer Schriftsteller, Anwalt und Professor für Internationales Recht. Leidenschaftlich setzt er sich für humanitäre Ziele und das Völkerrecht ein und formulierte u. a. die Anklage gegen den chilenischen Diktator Pinochet. Philippe Sands hat familiäre Wurzeln in Lemberg, wo der Großteil seiner Familie während des Zweiten Weltkrieges ermordet wurde. Sein 2017 erschienenes Buch "Rückkehr nach Lemberg" wurde ein internationaler Bestseller. Sein aktuelles Werk gilt einem wenig bekannten Kapitel des Spätkolonialismus in Mauritius.
Philippe Sands: "Die letzte Kolonie - Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Indischen Ozean", übersetzt von: Thomas Bertram, S. Fischer
Erich Klein
Sabine Fischer über Russland
"Ob du es willst oder nicht, du wirst es hinnehmen müssen, meine Schöne": Mit dieser Vergewaltigungsmetapher erklärte Wladimir Putin am 7. Februar 2022 Emmanuel Macron bei einer Pressekonferenz in Moskau, warum die Ukraine die Minsker Vereinbarungen erfüllen müsse. Bereits seit der Annexion der Krim 2014 wurde die Ukraine immer stärker feminisiert, als "Hure" oder "Memme" diffamiert und zum Vergewaltigungsopfer stilisiert. Für die Politologin Sabine Fischer zeigt sich darin der chauvinistische Charakter des Putin-Regimes: feindseliger Sexismus, aggressiver Nationalismus und Autokratie sind verflochten und bedingen einander. Der Begriff "Chauvinismus" kann so Wesentliches zur Erklärung des Krieges beitragen, den Russland ja auch gegen liberale Demokratien führt.
Sabine Fischer, "Die chauvinistische Bedrohung - Russlands Kriege und Europas Antworten", Econ
Studiogespräch: Wolfgang Ritschl
Joseph Scheppach: "Das Universum in einem Staubkorn"
Laut Lexikon ist Staub die "Sammelbezeichnung für feinste feste Partikel verschiedener Größe und verschiedenen Ursprungs, die einen gewissen Zeitraum in Gasen, insbesondere in der Luft, suspendiert bleiben können." Staub ist aber mehr als ein lästiger Begleiter des Alltags, der zwecks Sauberkeit entfernt gehört. Staub ist immer und überall. Viele Fragen zur rätselhaften Materie Staub sind aber ungelöst, so der der deutsche Wissenschaftsjournalist und Autor Joseph Scheppach.
Joseph Scheppach, "Das Universum in einem Staubkorn - Eine kurze Geschichte des Staubs vom Wohnzimmer bis ins Weltall", Goldmann
Ivo Kaufman

PICTUREDESK.COM/AKG-IMAGES
Alexander Bartl: "Der elektrische Traum"
Gas oder Strom? Diese Frage bewegt Politik und Wirtschaft nicht erst, seit die Folgen des Klimawandels immer deutlicher zu spüren oder die Energiepreise explodiert sind. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts war dieses Thema wild umstritten. Warum, zeigt Alexander Bartl in seinem Buch "Der elektrische Traum". Darin zeichnet der Journalist und Autor die Geschichte der weltweiten Elektrifizierung nach. Im Mittelpunkt stehen der bekannte Erfinder John Alva Edison und sein in Vergessenheit geratener Mitarbeiter Francis Jehl. Dass die elektrische Glühbirne schließlich die Petroleumlampe und Gasbeleuchtung ablöste, hat auch mit einer Katastrophe zu tun, die sich 1881 in Wien ereignete.
Alexander Bartl, "Der elektrische Traum - Fortschrittsjahre oder eine Gesellschaft unter Strom", Harper Collins Verlag
Alexander Spritzendorfer: "Karl Seitz"
Wenn es um Wiener Bürgermeister mit Langzeitwirkung geht, fällt aktuell meist der Name Karl Lueger. Ebenfalls prägend, aber auf andere Art und Weise, war die zwölfjährige Amtszeit des Karl Seitz. Der Sozialdemokrat wurde fast genau vor 100 Jahren, am 13. November 1923 zum Wiener Bürgermeister gewählt. Er steht bis zu seiner Verhaftung im Zuge der Februarkämpfe von 1934 für die Epoche des Roten Wien, zählt aus heutiger Sicht aber dennoch nicht zu den Popstars des sozialdemokratischen Pantheons. Sehr zu Unrecht, wie Alexander Spritzendorfer befindet.
Alexander Spritzendorfer, "Karl Seitz - Bürgermeister des Roten Wien - Eine Biografie", Falter Verlag
Georg Renöckl
Roman Köster: "Müll"
Wir ersticken in Müllbergen und produzieren riesige Müllstrudel aus Plastik auf den Meeren. Und die Frage, was wir mit Atommüll machen soll, verdrängen wir schnell wieder, wenn sie auftaucht. Das Wegwerfen, Entsorgen und Wiederverwerten haben sich im Laufe der Geschichte verändert, von einer Frage der städtischen Sauberkeit wurde der Müll zu einem globalen Umweltproblem. Müll ist nichts, was sich wohlhabende Gesellschaften leisten, sagt nun der Historiker Roman Köster, Müll ist vielmehr eine Nebenfolge davon, warum Gesellschaften wohlhabend sind. Schließlich haben sie die jahrhundertelange Last der Knappheit abgeschüttelt. Ob die Vergangenheit Rezepte bereithält, um heutige Müllmengen dauerhaft zu reduzieren?
Roman Köster, "Müll - Eine schmutzige Geschichte der Menschheit", C.H. Beck
Studiogespräch: Wolfgang Ritschl
Elinor Mordaunt: "Das Buch der Abenteuer"
Vor genau 100 Jahren geht die britische Autorin Evelyn May Clowes im Auftrag der Londoner "Daily News" auf Weltreise. An Bord verschiedener Schiffe fährt sie von Marseille aus zu zahlreichen exotischen Inseln und landet schließlich in Sydney. Unter ihrem Pseudonym Elinor Mordaunt reist und schreibt sie über damals noch sehr fremde Welten. Ihre Berichte bestechen durch ihre Offenherzigkeit und ihren Sinn für Humor. Sie verfasst über 50 Reisebücher. Eines davon soll nun in deutscher Erstübersetzung dazu beitragen, die ungewöhnliche Frau und ihre enorme Entdeckungsfreude dem Vergessen zu entreißen.
Elinor Mordaunt, "Das Buch der Abenteuer", aus dem Englischen übersetzt und herausgegeben von Alexander Pechmann, mare
Ivo Kaufmann
Wolfgang Struck: "Flaschenpost"
Beschriebene Zettel, die in Flaschen auf dem Meer treiben: Alles Mögliche kann da drauf stehen, ein Ruf nach Rettung von einer einsamen Insel, ein Liebesschwur oder ein Kochrezept. Kindern etwa bringt der Hase Felix in einem Buch charmant die Küchen der Welt nahe durch Rezepte in Flaschenposten. In der Realität kommen Botschaften nicht so einfach an den gewünschten Empfänger, denn Meeresströmungen, der Wind und andere Unbill treiben die Nachrichten vielleicht in eine gänzlich falsche Richtung. Dass das auch nützlich sein kann, zeigt ein legendäres Experiment, das den Kern des Buches „Flaschenpost“ von Wolfgang Struck ausmacht.
Wolfgang Struck, "Flaschenpost - Ferne Botschaften, frühe Vermessungen und ein legendäres Experiment", Mare Verlag
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