Eine Frau schaut durch eine Lupe

APA/DPA/SINA SCHULDT

ORF

Zwei Jahre Zeit für den Blickwechsel

Der ORF nimmt sich selbst unter die Lupe. Die von der FPÖ angezettelte Debatte über die Abschaffung der Gebühren und eine Finanzierung aus dem Budget ist um zwei Jahre vertagt worden. Eine Verschnaufpause für den ORF, die er für eine Neuausrichtung und eine Charmeoffensive nützen will. Dass das notwendig ist, zeigt eine Analyse der Beraterfirma Fehr Advice. Die Berater haben herausgefunden: Der ORF macht zwar seinen Job gut, wird dafür auch geschätzt - aber nicht genug. Was zu tun ist, darüber hat Nadja Hahn hat für #doublecheck mit Gerhard Fehr gesprochen.

Die Lage ist ernst. Eine Volksabstimmung würde der ORF derzeit nicht mit Sicherheit bestehen, sagt Gerhard Fehr von der Schweizer Beraterfirma Fehr Advice. "Wenn heute eine Volksabstimmung stattfinden würde, wäre das Ergebnis shaky, es wäre sehr unsicher, ob wir uns über der 50 Prozent Latte bewegen würden."

Gerhard Fehr

Gerhard Fehr

"Das Ergebnis wäre heute shaky"

Die Berater von Fehr Advice haben in den vergangenen Monaten 140 Personen im ORF und 3800 Menschen aus dem ORF-Publikum zu den Stärken und Schwächen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks befragt. Fehr stellt fest: Etwa zwei Drittel der Österreicher identifizieren sich stark mit dem ORF, ein Drittel hat nur eine schwache Bindung. Dieses Verhältnis müsse auf 80 zu 20 verbessert werden.

Fehr Advice hat Erfahrung auf diesem Gebiet. Die Berater haben auch den Schweizer Rundfunk SRG dabei unterstützt, die Abschaffung der Gebühren in der Schweiz abzuwenden. Die Schweizer haben sich im Vorjahr mit 71 Prozent Zustimmung für eine Beibehaltung der Beitragsfinanzierung ausgesprochen, die wird ab heuer über das Modell einer Haushaltsabgabe umgesetzt.

Viel Know-how, aber zuwenig Herz

Die Bevölkerung attestiere dem ORF, dass er in vielen Bereichen ein gutes Programm mache, auch die Journalisten und Journalistinnen werden als kompetent angesehen. Aber das reiche nicht, um sich mit dem ORF zu identifizieren, und ihn so sehr zu mögen, dass man ihn auch unterstützen will, sagt Fehr. Der ORF müsse in die Herzen der Menschen gelangen. "Der Glaube, dass schon das Programm die Daseinsberechtigung des ORF darstellt, ist ein blinder Fleck im ORF. Das ist der Kernauftrag, das muss gemacht werden."

Gerhard Fehr im Interview mit Nadja Hahn

Zu lehrerhafte Berichterstattung

Als öffentlich-rechtlicher Rundfunk müsse der ORF mehr leisten und sich verstärkt auf andere Bereiche konzentrieren. Zum Beispiel auf mehr Dialog mit dem Publikum, mehr Vielfalt bei der Auswahl der Gesprächspartner, auf eine Gesprächsführung auf "Augenhöhe" mit dem Publikum und mehr politische Unabhängigkeit.
Als Beispiel nennt Fehr die Berichterstattung über den Klimawandel. Auch die Skeptiker müssten hier viel mehr in den Dialog geholt werden. Der ORF sei da oft zu "lehrerhaft".

Unabhängigkeit muss gestärkt werden

Der ORF müsse auch mehr dafür tun, um als unabhängig von der Politik zu gelten. Keine leichte Sache, gibt auch Fehr zu. Dafür brauche es im Management ein Regelwerk. Zum Beispiel sollten Stiftungsräte ganz un-österreichisch auch Personen für Führungspositionen vorschlagen, die nicht der politischen Farbenlehre entsprechen. Leistung und Erfahrung müssten mehr zählen als Netzwerke, dafür sollte sich das Management einsetzen, sagt der Berater.

Ö3 als Muster der Identifikation

Ebenfalls eine interessante Erkenntnis aus der Fehr-Analyse: die Marken der TV- und Radiosender des ORF sind beliebter als die Dachmarke ORF. Zum Beispiel ORF eins und ORF2, aber vor allem Ö3. Dennoch fordern ORF-Kritiker und manche Mitbewerber immer wieder, dass der ORF Ö3 oder ORF eins verkaufen solle. Diese Kanäle, so die Ansicht, würden den öffentlich-rechtlichen Auftrag zu wenig erfüllen und sich von der kommerziellen Konkurrenz zu wenig unterscheiden. Dem nachzugeben, wäre ein Fehler, sagt Fehr: "Das wäre wirklich nicht das, was die Österreicher und Österreicherinnen wollen. Das wäre auch nicht dienlich für den ORF. Die grundsätzliche Frage ist: Würde das ein Privater auch so machen? Das glaubt die österreichische Bevölkerung in keiner Weise. Ö3 ist so, wie es ist, weil es von einer öffentlich-rechtlichen Institution gemacht ist."

ORF eins wird neu aufgestellt

Auch bei ORF eins bleibt derzeit kein Stein auf dem anderen. Die vielkritisierte Abspielstation für US-Serien und Hollywoodfilme wird unter der Leitung von Channel-Managerin Lisa Totzauer neu aufgestellt. Am Montag, den 8. April, startet die neue Vorabendinformation mit der ZIB18, danach kommt das 25-minütige Magazin1 - eine Weiterentwicklung des ZIB-Magazins, Zielrichtung Jüngere. Bodycams sorgen für neue Blickwinkel, ein modernes Studio ermöglicht viele Varianten für Gespräche, auch bei der Gestaltung der Beiträge wird experimentiert.

"Das geht sich in zwei Jahren aus"

Das Besondere an diesem Prozess ist, dass der ORF sich öffentlich der Analyse stellt, das ist auch in der Schweiz gut angekommen. Die Bevölkerung soll merken: Die nehmen das ernst. Auch im Stiftungsrat wurden die Ergebnisse vorgestellt, das Echo sei positiv gewesen - auch bei den ORF-Skeptikern im Gremium, sagt Fehr.
Was kann der ORF von der SRG lernen? "Sich als Öffentlich-Rechtlicher zu hinterfragen - und diese Diskussion auch in die Öffentlichkeit zu tragen", sagt Fehr. Damit könne man die Beziehung zum Publikum und zur Politik auf neue Beine stellen.

Nun hat der ORF zwei Jahre Zeit, die Wende zu schaffen, bis die Diskussion über seine Finanzierung wieder aufflammt. Fehr ist zuversichtlich, denn Management und Belegschaft hätten das Problem erkannt. Jetzt hänge es von der Umsetzung der Erkenntnisse ab.

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