Bettina Hering

SALZBURGER FESTSPIELE/WILDBILD

Im Gespräch

Schauspielchefin Bettina Hering

"Ein Abbild der Komplexität von heute" - Manfred Mittermayer im Gespräch mit Bettina Hering, Schauspieldirektorin der Salzburger Festspiele.

"Stell Dir vor, es ist Theater, und alle gehen hin!" Was sich viele Kunstschaffende wünschen, ist der gebürtigen Schweizerin Bettina Hering als Leiterin des niederösterreichischen Landestheaters in St. Pölten mit dem von ihr initiierten Bürger/innen-Theater gelungen. Das von Felix Mitterer verfasste und von der Regisseurin Renate Aichinger inszenierte Stück Kunstschaffende "Glanzstoff", an dem mehr als 50 Bewohner/innen der niederösterreichischen Landeshauptstadt beteiligt waren, wurde 2015 sogar mit dem Nestroy-Preis ausgezeichnet.

Man darf den zärtlichen Blick auf die, die bedroht sind, nie verlieren

Seit 2017 leitet mit Bettina Hering nun erstmals eine Frau das Schauspiel bei den Salzburger Festspielen. Und auch hier weht mit dem von ihr im sonst so traditionellen Programm verankerten partizipativen Theater ein neuer Wind. Dank der sogenannten Schauspielrecherchen hält das Laientheater Einzug auf der Festspielbühne. Auch "Kasimir und Karoline", für dessen Inszenierung man circa 350 Laien und Lainnen in Salzburg gecastet hatte, wurde 2017 für den Nestroy-Preis nominiert.

1960 in der Nähe von Zürich geboren, studierte die Intendantin, Dramaturgin und Regisseurin Bettina Hering Germanistik, Philosophie und anthropologische Psychologie. Unter anderem bei Peter von Matt, von dem sie den Ansatz des interdisziplinären Arbeitens mitgenommen hat. Danach hospitierte und assistierte sie etwa am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg und an den Städtischen Bühnen in Frankfurt am Main und arbeitete mit Theatergrößen wie Peter Palitzsch, Einar Schleef oder Hans-Jürgen Syberberg zusammen.

Literatur im Nebel

Seit 2007 ist Hering Dramaturgin des renommierten, im Waldviertel angesiedelten Literaturfestivals Literatur im Nebel, das 2006 vom ehemaligen Kulturminister Rudolf Scholten, vom Schriftsteller Robert Schindel und dem damaligen Bürgermeister von Heidenreichstein, Johann Pichler, gegründet wurde.

Mit Manfred Mittermayer, Germanist und Leiter des Literaturarchivs Salzburg, verbindet Hering nicht nur die Liebe zu Thomas Bernhard, sondern auch das Interesse an neuen Formen der Literatur. Als Kuratorin setzt Hering immer wieder Romanadaptionen und Stücke junger, noch unbekannter Autor/innen auf den Spielplan.

Die Regionalität nimmt eine immer wichtigere Position ein

Im Gespräch mit Mittermayer ergründet Hering das Phänomen der aufstrebenden ländlichen Regionen. "Als Gegengewicht zur zunehmenden Globalisierung nimmt die Regionalität eine immer wichtigere Position ein: Individuelle Bedürfnisse und Identifikation werden gestärkt und setzen so in Wechselwirkung Kräfte frei, um sich den überregionalen Problemen zuzuwenden", so Hering.

Neben erfolgreichen Eigenproduktionen holte sie selbst Schauspielgrößen wie Anne Bennent oder Martin Wuttke ans niederösterreichische Landestheater und brachte international anerkannte Literat/innen wie Margarete Atwood, Amos Oz oder J. M. Coetzee ins Waldviertel. "Bei den Salzburger Festspielen", sagt sie, "mischt sich das Ländliche mit einem hohen kulturellen Bewusstsein. Das ist so ein bisschen wie Öl und Essig - auf jeden Fall eine interessante Mischung."

Männerdominierte Kulturszene

Wie gelingt es ihr, als Frau in einer männerdominierten Kulturszene nicht nur erfolgreich zu sein, sondern auch neue Rollenbilder stark zu machen und den Rand der Gesellschaft in die Mitte der Bühne zu bekommen? Im Sinne des finnischen Filmemachers Aki Kaurismäki sagt sie: "Man darf den zärtlichen Blick auf die, die bedroht sind, nie verlieren."

Text: Birgit Allesch