APA/DPA/FRANK RUMPENHORST
Haltung und Journalismus
Bio verengt den Journalisten-Blick
Konservative Journalisten sprechen gern vom "linken Mainstream", einer Art Meinungsdiktatur unter Journalisten. Kein Wunder also, dass Redaktionen politische Erdbeben wie Brexit oder Trump nicht wahrhaben wollten und Auflagen sinken, argumentieren sie - zuletzt auf den Wiener Medientagen. Ist da was dran? Tatsächlich definieren sich Journalisten mehrheitlich als links. Berichten sie deshalb unausgewogen?
4. November 2019, 02:00
Jan Fleischhauer fühlt sich ausgegrenzt. Der langjährige "Spiegel"-Redakteur hat bis vor kurzem die Kolumne: "Der schwarze Kanal" geschrieben. Einer seiner Titel war: "Ich, einfach diskriminiert." Fleischhauer sieht sich als rechte Stimme in einem linken Orbit. Und das nur online, denn im gedruckten Magazin hätte man ihn diese Kolumne nie schreiben lassen, sagt Fleischhauer. Wenn Journalisten schreiben, um sich selbst zu gefallen, anstatt darauf zu achten, was die Bevölkerung bewegt, dann sei es auch kein Wunder, wenn die Auflagen sinken. In der "Spiegel"-Redaktionssitzung sei es etwa regelrecht ein Tabu zu sagen, dass der "dritte Titel über die Rechtsradikalen" wieder nicht funktionieren werde.
Rechte Medien sind immer die Bösen
Michael Fleischhacker, Chefredakteur von "Addendum", der von Red Bull finanzierten Rechercheplattform, kritisiert, dass die Mainstream-Medienblase neue konservative Medien und Blogs verteufeln würde. "Wenn wir nur so damit umgehen, dass wir sagen: Alle diese Medien sind böse, vor allem wenn sie rechts der Mitte sind, aber links geht’s eh, dann werden wir nicht weiterkommen." Brexit, Trump, Relotius, all das hätten Redaktionen nicht kommen sehen, weil sie es einfach nicht glauben wollten, so Fleischhacker.
"Keiner will Rechtspopulisten einstellen"
Der Chefredakteur der deutschen Wochenzeitung "Die Zeit", Giovanni Di Lorenzo, erzählte auf den Medientagen, die Journalisten in seiner Hamburger Redaktion würden allzu ähnlich ticken, vor allem die jungen: "Das ist nicht so, dass jemand der im Bioladen einkauft, Feminist ist und kein Auto hat, ein schlechter Journalist ist. Aber ich glaube, dass es den Blick verengt. Niemand möchte einen Rechtspopulisten einstellen, aber ein paar Anti-Konformisten würden uns guttun."
Neue Studie sagt, wo Journalisten stehen
Tatsächlich ist es so, dass Journalisten in Österreich sich als eher links beschreiben, sagt der Journalismus-Forscher Andy Kaltenbrunner. Er macht seit Jahren regelmäßig Studien über den sozialen und politischen Hintergrund von Journalisten. Die nächste ist in Vorbereitung, 500 Personen wurden dafür befragt, sagt Kaltenbrunner, und auch diese Studie bestätigt den Trend: "Tendenziell sind die befragten Journalisten weiter links der Mitte in der Selbstbeschreibung. Nur ein kleinerer Teil sieht sich rechts der Mitte."
Linke Schreiber in konservativen Verlagen
Dass Österreichs Journalismus deshalb links gefärbt sei, lasse sich daraus aber nicht ableiten, zähle doch die Mehrzahl der Medienhäuser eher zum konservativen Lager, betont Kaltenbrunner. In den großen Boulevardmedien etwa sei die ÖVP im vergangenen Wahlkampf gut behandelt worden – und nicht nur dort. "Ich glaube eher, dass es einen populistischen Dreh gibt in der Berichterstattung. Das hat etwas mit der ökonomischen Situation zu tun. Das ist nicht links rechts, das ist opportunistisch", sagt Andy Kaltenbrunner. Eines zeigt seine Studie deutlich: Mehr als über Parteien würden sich Journalisten heute über Themen definieren - etwa ihre Haltung zur Flüchtlings- oder Klimakrise oder über ihr Engagement für den Kampf um die Rechtsstaatlichkeit.
Gesinnungspublizistik bei Flüchtlingskrise
Einen unbestreitbaren Fall von Gesinnungspublizistik sieht Kaltenbrunner in der Berichterstattung über die Flüchtlingskrise 2015/16: Damals hätten Boulevardmedien und Qualitätsmedien anfangs unterschiedliche Haltung eingenommen und erst später ihre jeweiligen Standpunkte hinterfragt. "Es hat eine Weile gedauert, bis die einen wie die anderen sich eingekriegt haben und gesagt haben, schauen wir uns einmal genauer an, was da ist."
Entscheidend für die Qualität sei letztlich, wie sorgfältig ausgewogen und transparent recherchiert werde. Zumindest dieser Anspruch werde in der Branche hochgehalten, zeigt Kaltenbrunners Studie.
Beißen Redaktionen auch bei den Grünen zu?
Ein Anspruch, den auch die Wiener Stadtzeitung "Falter" an sich stellt. Das Blatt ist nach Eigendefinition des Chefredakteurs "left-leaning" - also linksgerichtet. Im Wahlkampf hatte der "Falter" spektakulär über Parteispenden und Wahlkampfkosten-Überschreitungen der ÖVP berichtet. Die ÖVP reagierte verärgert und klagte auf Unterlassung. Geht der "Falter" mit den Grünen und den Roten gleich hart ins Gericht?
In der Ausgabe vor der Nationalratswahl kam ein doppelseitiger Bericht über den Ex-Gemeinderat und Stadtplanungs-Experten der Grünen, Christoph Chorherr. Ihm wird vorgeworfen, Immobilieninvestoren gegen Spenden für seinen wohltätigen Verein begünstigt zu haben. Der Autor des "Falter"-Berichts, Lukas Matzinger, kommt zum Schluss, dass Chorherr wohl eher ungeschickt als korrupt sei. Auf Seite Zwei der Ausgabe prangt ein ganzseitiges Inserat der Grünen. Ist das Zufall? Matzinger sagt im Gespräch mit #doublecheck, er habe davon nichts gewusst. Die Redaktion werde aus gutem Grund nie informiert, wer gerade inseriert.
Fall Chorherr mit befangenem Chefredakteur
Chefredakteur Florian Klenk habe sich in dieser Geschichte als befangen erklärt, weil er mit Chorherr befreundet sei. Deshalb sei er mit den Recherchen in der Sache beauftragt, sagt Matzinger. Nach seinen Erkenntnissen habe der Fall Chorherr jedenfalls nicht die Dimension wie andere Skandale.
Im Übrigen berichte der "Falter" ebenso genau über rote Skandale, Beispiel Krankenhaus Nord. Aber, räumt Matzinger ein, vielleicht würden Informanten ihnen eher Material gegen ÖVP und FPÖ zuspielen, weil man dem "Falter" nicht zutraue, auch die Linken unter die Lupe zu nehmen. Aber er nehme gerne Informationen über SPÖ und Grüne, sein Postfach sei für alle offen.
"Falter" will aus Objektivität nicht Fetisch machen
Dennoch warnt Matzinger davor, "Objektivität zum Fetisch zu machen". Man müsse nicht automatisch alle politischen Kräfte gleich behandeln. "Es ist objektiv zu sagen, die FPÖ hat demokratiegefährdendere Tendenzen, als das andere Parteien haben. Es ist geboten, bei der FPÖ mit der Geschichte, die wir haben, genau hinzusehen, was rechtsextreme Einzelfälle betrifft. Es ist vernünftig, diese Fälle strenger zu beurteilen als andere Ausritte bei anderen Parteien."
Das journalistische Ergebnis zu erklären, das ist besonders wichtig in Zeiten, wo Journalisten immer mehr unter Druck kommen. Die redaktionelle Herausforderung im "Falter" ist exemplarisch für viele Redaktionen.
Gebrochene Lebensläufe statt Uni-Karrieren
Andy Kaltenbrunners Befragungen zeigen, dass das Bewusstsein dafür, was ausgewogene Berichterstattung bedeutet, unter Journalisten steigt. Allerdings zeigt sich noch ein Trend: Immer mehr Journalisten sind Akademiker. Das sei zwar erfreulich, aber nicht repräsentativ für die Bevölkerung, sagt Kaltenbrunner. Auch die Nationalratswahl hat gezeigt: Je höher die Bildung, desto höher der Anteil an Grün-Wählern und -Wählerinnen. Umso mehr ist das ein Auftrag an die Verlage, Journalisten unterschiedlicher sozialer Herkunft einzustellen. Wie "Zeit"-Chefredakteur Giovanni Di Lorenzo sagt: Er gehe jetzt auf die Suche nach Personen mit Brüchen in ihren Lebensläufen.