ORF/JOSEPH SCHIMMER
Radiokabarettpreis
"Salzburger Stier 2020" an Florian Scheuba
Die Gewinner des "Salzburger Stier 2020" sind der Österreichische Kabarettist Florian Scheuba, für Deutschland wird die Bühnenliteratin Sarah Bosetti ausgezeichnet und für die Schweiz der Satiriker Renato Kaiser.
14. Juni 2020, 12:00
Zu den Sendungen
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Der renommierte Radiopreis für deutschsprachiges Kabarett sollte ursprünglich beim großen "Stier"-Event von 15. bis 17. Mai 2020 in Köln überreicht werden. Coronabedingt senden die einzelnen Radiostationen nun eigene Programme. Die Eröffnung bestritt wie geplant Bodo Wartke, dessen Video Sie hier sehen können. Wartke wollte trotz der schwierigen Rahmenbedingungen seinen Auftritt nicht völlig in den virtuellen Raum verlegen. Daher fand sein Klavierkabarett-Abend ohne Publikum im Kammermusiksaal des Kölner Funkhauses des Deutschlandfunk statt.
Der "Salzburger Stier" ist mit je 6.000 Euro dotiert und wird bereits zum 39. Mal in Zusammenarbeit der öffentlich-rechtlichen Radiosender von ARD, ORF, SFR und RAI Südtirol verliehen.
Florian Scheuba für Österreich
Der "Salzburger Stier 2020" für Österreich geht an den Kabarettisten Florian Scheuba, der mit der Aussage "Ein Kabarettist, der von allen geliebt wird, ist wie ein Türsteher, der jeden hereinlässt, der hat seinen Beruf verfehlt" schon die Richtung vorgibt, wo er seinen Platz in der Kabarettszene sieht. Die schnelle Pointe, die dazu verleitet, den naheliegenden Witz über den Inhalt zu stellen, ist seine Sache nicht. Florian Scheuba bewegt sich lieber außerhalb der Wohlfühlzone - dort, wo die Pointe sitzt, trifft und trotzdem von hohem Unterhaltungswert ist. Das hat damit zu tun, dass Scheuba penibel recherchiert und die Satire mit der Ernsthaftigkeit eines Aufdeckers betreibt. Florian Klenk, Chefredakteur der Wiener Stadtzeitung "Falter" und einer der renommierten österreichischen Investigativ-Journalisten, schreibt über den Kabarettisten, dass er sich spätestens mit seinen Soloprogrammen endgültig als subversiver Bühnenaktivist enttarnt habe.
Für die "Contra"-Sendung anlässlich der Verleihung des Salzburger Stiers nahm Florian Scheuba im ORF Funkhaus Wien seine ursprünglich für die Tageszeitung "Der Standard" verfasste Kolumne "Von Schenkern und Beschenkten", erschienen am 7. Mai 2020, in einer Radiofassung auf.
Auf der Bühne steht der Wiener Florian Scheuba seit seiner Schulzeit in den frühen 1980er Jahren. Er war Mitbegründer, Autor und Akteur des parodistischen Theater-Kabaretts "Die Hektiker", das es im Lauf seiner Geschichte auf 15 Programme und 1991 mit dem Studioalbum "Endlich!" auf Platz 1 in der Hitparade brachte. In unterschiedlichen Ensembles hat Scheuba für pointierte Charakterdarstellungen und politisch fundierte Satire gesorgt. Er war u. a. Miturheber und Darsteller bei den ORF Fernsehsatiren "Die 4 da" und "Wir Staatskünstler", Koautor der mit dem Salzburger Stier prämierten Satire "Cordoba", brillierte im Duo mit Thomas Maurer und mit Österreichs TV-Kaiser Robert Palfrader, feierte Erfolge als Kolumnist und Buchautor.
2015 stand Florian Scheuba erstmals als Solist auf der Bühne und wurde für sein Programm "Bilanz mit Frisur" mit dem Österreichischen Kabarettpreis prämiert. Drei Jahre später stellte er sich mit seinem Solo "Folgen sie mir auffällig" erneut in den Dienst der Aufklärung. Und weil Florian Scheuba politische Fakten und Zusammenhänge wohl bekannt sind, trifft es ihn nicht unvorbereitet, dass Realität und Satire oft nicht mehr zweifelsfrei voneinander zu unterscheiden sind.
BOSETTI
Sarah Bosetti
Sarah Bosetti für Deutschland
Sie ist Feministin, obwohl sie sich wünscht, wir bräuchten keinen Feminismus mehr. Sie kommt maximal unaufgeregt daher und erntet trotzdem Hasskommentare. Sie postuliert "Kämpfen ist Kacke" - und geht dennoch keiner Diskussion aus dem Weg. Sarah Bosetti lebt mit diesen Widersprüchen und macht daraus Kunst - auf der Bühne, in den sozialen Medien und regelmäßig im Radio. 1984 in Aachen geboren und aufgewachsen, studierte sie zunächst in Brüssel Filmregie und lebt heute in Berlin. Sie startete im Poetry Slam, gründete die Berliner Lesebühne "Couchpoetos" und wurde 2013 im Team Mikrokosmos erstmals deutschsprachige Vizemeisterin im Poetry Slam. Seitdem überschreitet Sarah Bosetti mühelos jegliche Genregrenzen und bringt Formen des Slams, der Lesung, des Stand-ups und des politischen Kabaretts in ihrem ganz eigenen Stilmix auf die Bühnen. Sie schreibt Bücher, verfasst wöchentliche Radiokolumnen für öffentlich-rechtliche Sender und ist längst in allen relevanten Satire- und Fernsehsendungen vertreten. Vor allem aber gelingt Bosetti die Verbindung zwischen analogen und digitalen Ausspielwegen.
Mit ihren viel geklickten Videos und ihren fast täglichen Beiträgen auf allen relevanten Plattformen der Sozialen Medien, trägt sie zu einem regen, gesellschaftspolitischen Diskurs bei und hat Maßstäbe gesetzt für nachfolgende Generationen junger Künstler/innen. Sarah Bosetti stellt sich und ihrem Publikum Fragen, lässt ihren Gedanken Raum, sich zu entwickeln, um dann im entscheidenden Moment gekonnt zuzuspitzen - stilistisch und inhaltlich. Sie thematisiert Populismus und Feminismus, seziert die Sprache des Alltags und setzt auf Diskurs und Austausch auch jenseits der eigenen Filterblase. Dabei bezieht sie immer wieder klare, politische Positionen und scheut keine Kontroverse. Als Antwort auf die oft sexistischen und persönlich verletzenden Kommentare hat sie sogar ein eigenes Genre entwickelt. Sie verwandelt Hasskommentare in Liebeslyrik. So auch in ihrem neuen Buch und Programm "Ich hab nichts gegen Frauen, du Schlampe". Schöner und entlarvender nimmt derzeit wohl niemand auf deutschen Bühnen den populistischen, lauten Stimmen den Wind aus den Segeln als die deutsche Preisträgerin des "Salzburger Stieres 2020".
STEFAN STUCKI
Renato Kaiser für die Schweiz
Er bringt's im Untertitel seines aktuellen Bühnenprogramms gleich selber auf den Punkt: "Renato Kaiser in der Kommentarspalte. Satire für Hirn und Herz". Renato Kaiser, der Schweizer Gewinner des Salzburger Stiers 2020, überzeugt durch sein präzises, eigenwilliges Denken, seinen Charme und sein mitreißendes Temperament. Geboren 1985 in Goldau am Bodensee nimmt Kaiser mit 20 - er ist inzwischen Student an der Universität Fribourg - zum ersten Mal an einem Poetry Slam teil. Es folgen Slams im ganzen deutschsprachigen Raum und 2012 der Titel des Schweizermeisters. Aber Kaiser ist nicht nur Slam Poet, denn er verfügt über das außergewöhnliche Talent, sein satirisches Können in mannigfache Richtungen zu entfalten: Als humoristischer Schriftsteller veröffentlicht er "uufpassä, nöd aapassä! Erlebnisse aus der Selbsthilfegruppe für Anonyme Ostschweizer" (2012) und "Neutralala, Schweiz - ein Heimatbuch" (2013).
Seine ersten Kabarett-Programme heißen "Es war nicht so - ein Nachruf" (2010) und "INTEGRATIONAL - Ein Abend für Schweizer, Deutsche, Ostschweizer, Löwenzähne und andere Randgruppen" (2013). Er ist Mitbegründer der Lesebühne "Rauschdichten", Gastgeber der Satire-Show "Kaiser-Schmarren" (im Casinotheater Winterthur) und Präsident des Vereins spoken-word.ch, publiziert die Video-Kolumne "Kaiserschnitt" und alle zwei Wochen ein aktuelles "Kaiservideo" in den Sozialen Medien. Im Radio ist er mit pointierten Wochenkommentaren in der "Zytlupe" auf SRF 1 präsent und im Schweizer Fernsehen hat er im Sommer 2019 die erste Staffel seiner eigenen Doku-Comedy-Reihe "Tabu" gezeigt.
Bravourös spielt Renato Kaiser mit den Regeln der unterschiedlichen satirischen Genres. Mit seinem Sprachwitz verzaubert er das literarische Publikum, etwa dann, wenn er von seinem "Bernout" erzählt, dem Martyrium, das er wegen seiner Ostschweizer Mundart in Bern erdulden musste. Im Fernsehen zeigt er gerne seine clowneske Seite, etwa wenn er Comedy-Kollege Dominic Deville seinen polierten Glatzkopf als Glaskugel leiht und für ihn einen spöttischen Blick in die Zukunft wirft. Ganz anders tritt Renato Kaiser aber in seiner eigenen TV-Sendung auf: In "Tabu" macht er Witze über Kranke und Behinderte, und die Betroffenen lachen herzhaft mit. Hier, am äußeren Rand der Satire, ist Kaiser am stärksten. Mit klaren Worten, mit keinem einzigen falschen Ton, thematisiert er das Flüchtlingsdrama auf dem Mittelmeer oder das Tötungsdelikt am Frankfurter Bahnhof im Juli 2019. Darf das Satire? Renato Kaiser darf das, weil er messerscharf argumentiert, ohne zu verletzen; weil er laut werden kann, ohne zu brüllen; weil er zugibt, überfordert zu sein, und ihn genau das zum Weiterdenken anspornt. Manchmal ist Humor eine Mutprobe.
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