APA/BARBARA GINDL
Oper
Fidelio - Befreiungsoper oder Liebesmanifest?
Im umfangreichen Werkkatalog Beethovens finden sich unter anderem 32 Klaviersonaten, 16 Streichquartette, 10 Violinsonaten, 9 Symphonien, 5 Klavierkonzerte - und eine Oper. "Fidelio". Doch so eindeutig einzig ist dieses Werk nicht - gibt es doch drei unterschiedliche Fassungen. Und wäre das nicht schon genug der Verwirrung, hat Beethoven auch noch vier verschiedene Ouvertüren dazu komponiert - eine Werkschau.
26. Jänner 2020, 19:08
Sendungen
Radiokolleg | 27 01 2020
"Fidelio" live | 01 02 2020
Wie kaum ein anderes Werk ist "Fidelio", die einzige fertig komponierte Oper Ludwig van Beethovens, Spiegel der Veränderungen im Musikleben wie in der Gesellschaft des beginnenden 19. Jahrhunderts. Die Geschichte der Liebe Leonorens zu Florestan, die ihren, in einem Staatsgefängnis inhaftierten Gatten, unter Einsatz des eigenen Lebens rettet, scheint doch wie geschaffen zu sein für das damalige Publikum. Das Paar Leonore und Florestan als Personifizierung der Werte der Französischen Revolution - dieser Plot hätte eigentlich Garant für einen unmittelbaren Erfolg Beethovens sein müssen. Doch, es kam ganz anders.
Wien Museum
Beethoven greift in seiner Oper auf einen Stoff zurück, der zu dieser Zeit auch schon von anderen Komponisten vertont worden war. Die Textvorlage zu "Fidelio" stammt von Jean Nicolas Bouillys und basiert auf einer angeblich wahren Geschichte: Eine "Madame de Tourraine" rettet - als Mann verkleidet - ihren Gatten aus der Gewalt und Gefangenschaft der Jakobiner.
Beethoven kommt 1792 von Bonn nach Wien - ursprünglich, um bei Joseph Haydn Unterricht zu nehmen. Es sind die revolutionären Umstände dieser Zeit, die aus einer geplanten Ausbildungsreise einen Umzug für immer machen.
Zur Jahreswende 1803/1804 - Beethoven ist damals 33 Jahre - beginnt er mit der Komposition des "Fidelio".
Damals wohnt er in einer großzügigen Wohnung auf der Mölker Bastei, dem sogenannten Pasqualati-Haus, benannt nach seinem Gönner Johann Baptist Freiherr von Pasqualati. Über ein Jahrzehnt wohnt Beethoven zwar nicht ständig aber doch immer wieder hier. Mehrere Symphonien entstehen hier, "Für Elise" und eben auch "Fidelio".
Ein Werk. Drei Fassungen - oder doch drei Opern?
Für Beethoven adaptiert und aus dem Französischen übersetzt hat das Libretto Joseph von Sonnleitner. Er ist Beamter, gehört zu den Gründungsmitgliedern des Wiener Musikvereins und ist zudem Onkel Franz Grillparzers.
Die erste Fassung
Am 20. November 1805 findet die Premiere des "Fidelio" statt. Und schon allein dieser Zeitpunkt ist äußerst ungünstig gewählt und einem erhofften Erfolg der Oper nicht zuträglich. Denn nur eine Woche zuvor waren die napoleonischen Truppen in Wien einmarschiert. Knapp zwei Wochen später wird die Schlacht von Austerlitz geschlagen werden.
Das kulturelle Leben Wiens war in diesen Tagen praktisch zum Stillstand gekommen, und im Theater sind kaum Wienerinnen und Wiener zu finden, sondern fast nur französisch sprechende Soldaten. Die Aufführung "gefiel nicht" - berichtet die Monatszeitschrift "Der Freimüthige".
Wien Museum
Die zweite Fassung
Zu wenige Proben, schlecht einstudierte Sänger, und eine Musik, die das Publikum überforderte. Beethoven ist verständlicherweise enttäuscht und arbeitet die Oper um. Nur wenige Monate später, am 29. März 1806, findet die Premiere dieser Umarbeitung statt. Und wieder bleibt der erhoffte Erfolg aus.
Beethoven und das Theater an der Wien
Das Theater an der Wien ist für diese ersten beiden Premieren die Bühne. Ein Ort, der generell für das Schaffen des Künstlers während dieser Jahre wichtig, ja prägend ist. Hier finden zahlreiche Uraufführungen Beethovens statt - so etwa die Sinfonien 2, 3 und 6. In den Jahren 1802/3 wohnt der Komponist auch in einer Dienstwohnung des Theaters.
Mit der Geschichte des Theaters an der Wien ist ein Name untrennbar verbunden - Emanuel Schikaneder, Librettist von Mozarts "Zauberflöte", erster Papageno und erster Direktor des Hauses zwischen 1801 und 1803. Für Roland Geyer, heute Direktor im Theater an der Wien ist er auch (letztlich) der Impulsgeber für Beethovens "Fidelio", weil der geschickte Netzwerker nicht nur Beethoven an das Thema Oper heranführt, sondern allen Misserfolgen zum Trotz den Komponisten ermuntert, am "Fidelio"-Stoff dranzubleiben.
Aller guten Dinge sind drei
Es vergingen weitere acht Jahre, ehe der "Fidelio" endlich erfolgreich auf die Bühne kam und bis heute zu den meistgespielten Opern zählt.
GEMEINFREI
Am 23. Mai 1814 wurde der letztendlich dritten Fassung, die im Kärntnertortheater gezeigt wurde, jener Erfolg zuteil, den sich Beethoven schon 1805 erhofft hatte. Und so ist die Entstehungsgeschichte des "Fidelio" sowohl eine Geschichte von drei Fassungen, als auch das Beispiel für einen kreativen musikalischen Dreier-Schöpfungsprozess.
Wir schreiben das Jahr 1789. Nach dem Sturm auf die Bastille in Paris fegt ein politischer Orkan über Europa. Die bis dahin bestehenden Gesellschaftssysteme geraten ins Wanken. "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit", das sind die neuen Werte, die für den damals 19-jährigen Bonner Ludwig van Beethoven bestimmend werden.
Beethoven war ein ungemein politischer Mensch. - Matti Bunzl, Direktor Wien Museum
Auch Beethovens Alltag ist in dieser Zeit von fundamentalen Veränderungen durchdrungen. Mit nicht einmal 20 Jahren wird er verantwortlich für die Erziehung seiner beiden jüngeren Brüder. Die Mutter, Maria Magdalena, ist zwei Jahre zuvor verstorben. Vater Johann, Sänger an der Hofkapelle, ist wegen seines hohen Alkoholkonsums nicht in der Lage, für die Familie zu sorgen und wird vom Dienst suspendiert. Dem ältesten Sohn wird die Verfügungsgewalt über die Hälfte der Pension des Vaters zugesprochen. Ludwig bekommt eine Anstellung an der Bonner Hofkapelle als Bratschist.
WIEN MUSEUM
Es sind politische Umstände, die aus einer geplanten Ausbildungsreise einen Umzug für immer machen. Mit der Besetzung Bonns durch französische Truppen verliert der junge Künstler seine Anstellung. Beethoven bleibt von da an in Wien.
"Fidelio" als politisches Statement
Beethoven ist Verehrer Napoleons. Die Enttäuschung als sich dieser 1804 selbst zum Kaiser krönt, ist groß. Genau in diese Zeit fällt die Komposition der Oper "Fidelio". Die biographischen und historischen Rahmenbedingungen scheinen eine schlüssige Erklärung dafür zu sein, weshalb Beethoven den aus Frankreich stammenden Stoff einer "Befreiungsoper" vertont.
Formal greift er dabei auf das Genre "Singspiel" zurück. Der Dirigent und Spezialist für historische Aufführungspraxis René Jacobs hat sich intensiv mit der Geschichte des "Fidelio" auseinandergesetzt: "Beethoven schwärmte, wie Mozart auch vom Mischgenre, genus mixtum, in dem es um Ernsthaftes geht, um Leichtes und Etwas dazwischen."
Beethovens Vorläufer
Den "Fidelio"-Stoff haben vor Beethoven bereits drei Komponisten bearbeitet. Pierre Gaveaux fertigt 1798 die erste Vertonung an.
Als nächstes nimmt sich der italienische Komponist Ferdinando Paer des Stoffes an. Seine Fassung wird 1804 in Dresden erstmals gezeigt. Paer, Italiener mit deutschen Vorfahren, kommt über Venedig, Wien, Dresden nach Paris, wo er 1825 die einzige Jugendoper Franz Liszts dirigieren wird.
Parma ist dann im Juli 1805 Schauplatz der dritten Vor-Beethovenschen-Version des Textsujets. Komponist ist der aus Bayern stammende Johannes Simon Mayr.
ORF/JOSEPH SCHIMMER
Die schicksalshafte Drei
Es gibt also schon drei verschiedene Opern zum "Fidelio"-Stoff, ehe Beethoven auf den Plan tritt. Und mit drei Librettisten arbeitet Beethoven für seine verschiedenen "Fidelio"-Fassungen zusammen. Der erste Textdichter ist Joseph Ferdinand von Sonnleithner. Er hält sich sehr an die französische Vorlage Bouillys. Stephan von Breuning, ein Vertrauter aus Bonner Tagen, adaptiert das Libretto für Fassung zwei. Für die dritte Version schließlich greift der Schmetterlingskundler und gebürtige Leipziger Dramatiker Georg Friedrich Treitschke radikal in den Text ein, vor allem, was die Dialoge zwischen den Musikstücken betrifft. So werden aus den ursprünglich drei Akten mit 18 Musiknummern in der zweiten Fassung zwei Akte mit 17 Musikstücken, und schlussendlich hat der Fidelio 1814 eine zweiaktige Form mit 16 Musiktiteln.
WIEN MUSEUM
Dirigent Rene Jacobs:
Das Ganze spielt in Sevilla, aber naturlich wusste jeder, dass Frankreich gemeint war.
Wie man die Zensur befriedigt
Natürlich muss das Stück vor der ersten Vorstellung der Zensurbehörde vorgelegt werden. Prompt wird es wegen unpassender Ansichten mit einem Aufführungsverbot belegt. Librettist Sonnleithner ersucht um Aufhebung, er kontaktiert den Staatsrat von Stahl und bittet um dessen Intervention zu Gunsten der Oper. Zwei Tage später wird die Aufführung "nach einiger Abänderung der grellsten Szenen" freigegeben.
Diese Vorgangsweise gibt auch einen Einblick in den Produktionsalltag dieser Zeit. Es reicht, einige Parameter auf bestimmte Weise zu verändern, um ein Stück durch die Zensur zu bringen, etwa, was den Ort der Handlung anlangt.
WIEN MUSEUM
So viele Anfänge
Nicht nur, dass es drei Fassungen der Oper gibt, liegen auch vier Ouvertüren vor. Leonore 1 wird zu Beethovens Lebzeiten vermutlich nie gespielt. Leonore 2 eröffnete die Fassung von 1805, Leonore 3 die Überarbeitung des Jahres 1806, die schon nach wenigen Aufführungen vom Spielplan abgesetzt wird. Beethoven beginnt mit einer langsamen Einleitung. Das Publikum wird gleichsam hinab in den Kerker zu Florestan geführt. Nach 250 Takten gipfelt diese Ouvertüre in eine jubelnde Schlusscoda. Über diesen Schlussteil wird Richard Wagner sagen:
Dieß Werk ist nicht mehr eine Ouvertüre, sondern das gewaltigste Drama selbst.
Die Fidelio-Ouvertüre schließlich eröffnete die Letztversion des Jahres 1814. Es war Gustav Mahler, der mit der Aufführungspraxis begann, die dritte Leonoren-Ouvertüre in der Letztfassung des "Fidelio" zwischen "O namenlose Freude" und dem Finale zu spielen. Und so wird - über Gustav Mahler - Leonore 3 in der Aufführungsgeschichte der Oper auch ein inhaltliches Bindeglied zwischen den Fassungen von 1806 und 1814.
WIEN MUSEUM
Neben der zeitlichen Komponente - es vergehen jetzt immerhin acht Jahre bis "Fidelio" in der uns heute geläufigen Form das Licht der Bühnenwelt erblickt - sieht Intendant Roland Geyer vom Theater an der Wien im Spielort Kärntnerthorteater und dem dort (besser) musizierenden Orchester noch andere entscheidende Faktoren für die Letztausformung der Fidelio-Ouvertüre - auch, wenn es Beethoven nicht gelungen ist, die Ouvertüre bis zur Premiere am 23. Mai 1814 fertigzustellen.
Was stattdessen gespielt wird, ist bis heute nicht klar. Librettist Treitschke verweist auf die Prometheus-Ouvertüre, Konzertmeister Seyfried will sich an die "Ruinen von Athen" erinnern, und Biograph Schindler besteht auf eine der Leonore-Ouvertüren. Beethoven selbst kommentiert 1823 diesen für ihn sicherlich unbefriedigenden Moment:
Die Leute klatschten, ich aber stand beschämt; es (Anm.: die Ouvertüre) gehört nicht zum Ganzen.
26 Jahre nach deren Vollendung und 14 Jahre nach dem Tode Beethovens mündet die Geschichte der vier Fidelio-Ouvertüren am 11. Jänner 1840 in ein einzigartiges Ereignis: Felix Mendelssohn Bartholdy dirigiert im Leipziger Gewandhaus zum ersten Mal in der Geschichte alle vier Ouvertüren hintereinander in einem Konzert.
Der Chor in Beethovens Oper Fidelio hat für die dramaturgische Entwicklung der Handlung wesentliche Bedeutung. Er ist Symbol für das unterdrückte, geknechtete Volk, in Ketten gelegt von korrupten Beamten. Und das Volk sehnt sich nach Freiheit, Licht und Hoffnung.
O welche Lust, in freier Luft den Atem leicht zu heben.
O welche Lust, nur hier ist Leben, der Kerker eine Gruft.
Die Polarität "Freiheit - Kerker", "Hoffnung - Unterdrückung", "Licht - Finsternis" ist originäres Motiv im "Fidelio" - und damit künstlerische Transformation der Werte der französischen Revolution, die grundsätzlich für die Lebenseinstellung Beethovens von fundamentaler Bedeutung waren und sich daher auch in allen drei Fassungen seiner Oper "Fidelio" wiederfinden.
Die politische Seite des "Fidelio"
"Fidelio oder Die eheliche Liebe", "Fidelio oder der Triumph der ehelichen Liebe", "Fidelio" - in keinem dieser drei Titel kommen Begriffe wie "Revolution" oder "Freiheit" vor. Die Ehegattin Leonore steht durch den verzweifelten Befreiungsversuch des Gatten Florestan für den Kosmos der Liebe. Florestan ist Teil dieses Kosmos, stellt aber - durch seine Inhaftierung - auch die Verbindung zur Machtebene der Politik dar, die in der Oper durch drei Protagonisten, Pizarro, Rocco und den Minister repräsentiert wird. Diese drei seien entscheidend für die Ausrichtung der Inszenierung, betont Roland Geyer, Intendant des Theaters an der Wien. Gerade Rocco könne man als Täter, Mitläufer oder Opfer inszenieren. In dieser symbolischen Konstellation liegt auch die gesellschaftspolitische Relevanz und Aktualität dieses Werks bis in unsere Zeit.
Die Suche nach der Mutter
Neben diesen Elementen der Befreiungsoper steht aber auch der Handlungsstrang des Singspieles. Dafür ist Marzelline, die Tochter des Gefängniswärters Rocco, Protagonistin. Ihr Verliebtsein in Fidelio - die verkleidete Leonore - interpretiert Intendant Roland Geyer nicht als Verkennen der Verkleidung oder lesbische Beziehung, sondern als Suche einer Tochter nach der Mutter von der man im Stück sonst nichts erfährt.
Ob dieser Bipolarität der Personengruppierung und deren musikalischer Zeichnung stellt sich die Frage, was man sich denn von einer nie geschriebenen zweiten oder gar dritten Oper Beethovens hätte erwarten können.
Roland Geyer erinnert daran, dass sich Beethoven für den Macbeth-Stoff interessierte. Außerdem hatte er sich bereits 1812 von Theodor Körner ein Ulysses-Libretto vorlegen lassen. Körners früher Tod in den napoleonischen Kriegen machte diese Überlegungen jedoch zunichte.
ORF/JOSEPH SCHIMMER
"Fidelio" im Kontext der Zeitgeschichte
Beethovens "Fidelio" taucht immer dann in der österreichischen Zeitgeschichte auf, wenn Diskontinuitäten festgeschrieben werden. Wo Brüche auch in der Abfolge der politischen Systeme zu finden sind, taucht die Oper als Konstante auf. Der Journalist und Historiker Martin Wassermair recherchierte die Aufführungsgeschichte des Werks. Er verweist nicht nur auf die Aufführungen in den Jahren 1945 und 1955, sondern auch auf den "Fidelio" des Jahres 1938 knapp nach dem "Anschluss" Österreichs an NS-Deutschland, auf die austrofaschistische Inszenierung anlässlich des Katholikentags des Jahres 1933 (Stichwort: "Türkenbefreiung"), sowie auf Aufführungen des Jahres 1927 als Österreich nach dem Justizpalastbrand den Pfad in den Bürgerkrieg eingeschlagen hatte. Martin Wassermair dazu:
"Fidelio" war stets willkommene Projektionsfläche politischer Erzählungen.
Bereits im September 1945 drückte der Dichter Thomas Mann in einem offenen Brief aus dem US-amerikanischen Exil an den Schriftsteller Walter von Molo sein Unverständnis in Bezug auf "Fidelio"-Aufführungen während der NS-Zeit aus:
Wie durfte denn Beethovens Fidelio, diese geborene Festoper für den Tag der deutschen Selbstbefreiung, im Deutschland der zwölf Jahre nicht verboten sein? Es war ein Skandal, dass er nicht verboten war, sondern dass es hochkultivierte Aufführungen davon gab, dass sich Sänger fanden, ihn zu singen, Musiker, ihn zu spielen, ein Publikum, ihm zu lauschen. Denn welchen Stumpfsinn braucht es in Himmlers Deutschland den Fidelio zu hören, ohne das Gesicht mit den Händen zu bedecken und aus dem Saal zu stürzen?
Text: Gerhard Krammer
Bearbeitung: Joseph Schimmer