Stephansdom

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Wien

Die geheimen Symbole des Stephansdoms

Von Genitalien, Einschusslöchern und verborgenen Meisterwerken: Der Stephansdom beherbergt zahlreiche Symbole und Objekte, hinter denen so rätselhafte wie interessante Details stecken.

Verborgen ist auch die Zahlenmystik: Der ganze Dom wurde auf der Basis von "heiligen" Zahlen und ihren Verhältnissen zueinander gebaut.

Im "Steffl" findet sich die Weisheit von sechs, sieben Jahrhunderten baukünstlerischen, kompositorischen Denkens.

Einiges seiner Geschichte erzählt der Dom von selbst, anderes wird wohl immer verborgen bleiben. Ein Rundgang durch die rätselhafte Symbolwelt des Doms.

Domarchivar Reinhard Gruber

Station Haupttor: Genitalien an der Fassade

Noch bevor man den Dom betritt, fallen sie ins Auge: Zwei symbolhafte Darstellungen geben Kirchen-Experten seit jeher Rätsel auf. Was suchen ein Penis und eine Vulva an der Fassade des Stephansdoms? Auf den Stelen links und rechts vom Haupttor kann man die Geschlechtsmerkmale erkennen.

Eingang zum Stephansdom

Eine Phallus und eine Vagina - links und rechts vom Riesentor: möglicherweise Überreste eines antiken Fruchtbarkeitsheiligtums

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"Wir wissen immer noch nicht genau, warum wir hier Penis und Vagina finden", sagt Domarchivar und Stephansdom-Experte Reinhard Gruber. Eine Theorie sagt, dass es sich um sogenannte Spolien aus der Römerzeit handelt, die ein Hinweis darauf sind, dass an dieser Stelle ein altes Fruchtbarkeitsheiligtum existiert hat. "Vor diesen sogenannten heidnischen Dingen hat man sich im Christentum ein bisschen gefürchtet und indem man sie außen an der Kirche anbringt, bricht man ihre Macht", so der Domarchivar. "Die Genitalien könnten aber auch einfach ein Zeichen dafür sein, dass die Sexualität große Macht in unserem Leben hat."

Station Langhaus: Mystik der Zahlen

Der Dom ist exakt 111 Fuß breit (ein Fuß = 32 Zentimeter), drei Mal 111 Fuß lang und der Südturm ist vier Mal 111 Fuß hoch. Kein Zufall - der Bau und die Maße des Doms unterliegen einer reichen Zahlenmystik.

Das Hauptschiff des Stephansdoms

In der Fastenzeit verhüllte eine Arbeit von Erwin Wurm das Altarbild.

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Die Zahl 1 symbolisiert den einen Gott und auch Jesus Christus, die Dreifaltigkeit besteht wiederum aus drei göttlichen Personen (111). Besonders drei Zahlen tauchen im und rund um den Stephansdom immer wieder auf: 3, 4 und 37, was sich auch in den Proportionen ausdrückt. Dabei gilt 3 als göttliche Zahl, das Dreieck im Aufriss weist nach oben - und 4 als irdische Zahl, die die vier Himmelsrichtungen darstellt. Zählt man beide zusammen, ergibt das 7, die Zahl der göttlichen Vollkommenheit (7 Schöpfungstage, 7 Sakramente, 7 Seligpreisungen, 7 Worte Jesu am Kreuz, etc.). 3 und dahinter 7, also 37, ist die Maßzahl des Doms, die der planende Baumeister als Grundlage verwendet hat. "Mit ihr lassen sich tatsächlich die wichtigsten Maße des Doms be- und nachrechnen", sagt Reinhard Gruber. 3 mal 37 sind 111 Fuß, das entspricht der Breite des Doms. 7 mal 7 mal 7 (343) Stufen führen bis zur Türmerstube des Hohen Turms. Gruber merkt an, dass es dabei nie um eine "zahlenmäßig exakte Aussage, sondern immer um die Botschaft geht, die vermittelt werden soll".

Station Seitenschiff: Dienstboten-Muttergottes

Die älteste Marienfigur im Dom stammt bereits aus der romanischen Stephanskirche (13. Jahrhundert). Sie steht am Beginn einer Reihe von damals neuartigen, zärtlich anmutenden Marienfiguren, die man "schöne Madonnen" nennt, und ist heute noch eines der meist besuchten und meist verehrten Gnadenbilder im Stephansdom.

Marienstatue im Stephansdom

Die Dienstboten-Muttergottes zählt zu den "schönen Madonnen"

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Der Name "Dienstbotenmuttergottes" geht auf eine Legende zurück: Eine Gräfin verlor ihren Ring und beschuldigte ihr Dienstmädchen, den Ring gestohlen zu haben. Das Dienstmädchen flüchtete sich zu dieser Marienfigur, beteuerte seine Unschuld und rief Maria um Fürbitte an. Der Ring fand sich daraufhin im abgestreiften Handschuh der Gräfin wieder.

Darstellung eines Schmerzensmannes

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Der Zahnweh-Herrgott

Station Nordturmhalle: Zahnweh-Herrgott

Der berühmte Zahnweh-Herrgott, eine Abbildung des sogenannten Schmerzensmannes, befindet sich als originalgetreue Kopie außen an der Ostseite des Mittelchores, das Original an der Westwand der Nordturmhalle.

Die Legende besagt, dass zwei Trunkenbolde über den damaligen Stephansfriedhof, der sich rund um die Kirche befand, getorkelt sind und sich über das schmerzverzerrte Gesicht dieser Jesus-Darstellung lustig gemacht haben. Nicht viel später wurden sie selbst von schrecklichen Zahnschmerzen geplagt und erst als sie zu dieser Figur kamen, um Abbitte zu leisten, wurden sie geheilt.

Station Leopoldaltar: Einschussloch

Ein Beispiel dafür, dass der Dom seine Geschichten selbst erzählt: Neben dem Leopoldaltar ist die Einschussstelle einer Gewehrkugel zu sehen, versehen mit dem Datum 6.10.1848. Damals war die sogenannte Oktoberrevolution in Wien in vollem Gang. "Im Zuge der Aufstände von Bürgern, Studenten und unzufriedenen Arbeitern haben sich die Kämpfe im Oktober 1848 auch in den Dom verlagert. Der Dom wurde quasi gestürmt".

Im Bereich des Leopoldaltars fiel ein Schuss, der getroffene Kommandant wäre beinahe verblutet. "Und somit war dieser heilige Ort entweiht", sagt Reinhard Gruber. Es brauchte einen eigenen Ritus, damit im Dom wieder Gottesdienste gefeiert werden konnten. Zur "Reinigung von diesem Frevel" wurden die Kirchenwände drei Mal mit einem Gemisch aus Wasser, Salz, Wein, Asche und Balsam besprengt.

Station Barbarakapelle: Asche von Auschwitz

In der Barbarakapelle, der spätgotischen Turmkapelle des Nordturms, wurde in den 1980er Jahren ein überlebensgroßes, spätgotisches Kruzifix aus der Pfarrkirche in Schönkirchen in Niederösterreich angebracht. Zu Füßen des Gekreuzigten sind zwei Aufbewahrungsbehältnisse für Reliquien zu sehen:

  • Kreuz der Barbarakapelle

    Seit 1983 findet die Barbarakapelle als Meditationsraum Verwendung. Das spätgotische Kreuz stammt aus der Pfarrkirche Schönkirchen, Niederösterreich.

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  • Reliquiar

    In seinen Kreuzbalken wurde ein Reliquiar mit Asche aus dem Konzentrationslager Auschwitz eingesetzt.

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  • Reliquiar

    Den Abschluss bildet ein Reliquiar mit Erde aus Mauthausen.

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Im dreieckförmigen befindet sich Asche aus dem NS-Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Das zweite darunter enthält Erde aus dem Konzentrationslager Mauthausen. "Damit gibt es auch im Stephansdom einen Ort, an dem aller Opfer des Nationalsozialismus gedacht werden kann."

Station Gruft: Gefundene Gräber

Nach dem verheerenden Brand 1945 musste auch der Boden im Dom erneuert werden. Im Zuge dieser Arbeiten kam eine Reihe von Gräbern zum Vorschein, die unter dem Boden verborgen war.

Die Krypta des Stephansdoms wurde erst nach dem Zweiten Weltkrieg angelegt.

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In diesen Gräbern lagen zahlreiche Bischöfe und Erzbischöfe Wiens, von denen man teilweise gar nicht mehr genau wusste, wo sie lagen. "Wenn nötig mussten die Bischöfe damals exhumiert und umgebettet werden", erklärt Gruber. Erzbischof Kardinal Theodor Innitzer veranlasste, dass es für sie einen "würdigen Gruftraum" geben musste, der in den Katakomben eingerichtet wurde.

Fresco

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Exit through the giftshop

Der letzte Erzbischof, der hier beigesetzt wurde, war Kardinal Franz König im Jahr 2004.

Station Bischofstor: Dürer im Shop

Vor wenigen Monaten die Schlagzeilen: "Dürer im Stephansdom entdeckt." An einem Strebepfeiler im Bischofstor, wo heute der Dom-Shop untergebracht ist, wurden bei Restaurierungsarbeiten zwei Vorzeichnungen freigelegt.

"Ihre Qualität lässt auf einen überregional bekannten, hervorragenden Künstler schließen", schildert Reinhard Gruber. Die Zeichnungen können in die Zeit Albrecht Dürers rückdatiert werden (frühes 16. Jahrhundert). Allein, es gibt keine Quellen, die belegen, dass der alte Meister Dürer je in Wien war oder gar im Stephansdom gearbeitet hätte. "Aber die Hoffnung stirbt zuletzt, dass die Wissenschaft in einigen Jahren doch draufkommt, dass wir einen echten Dürer im Shop haben", lacht Gruber.

"Und wenn es nicht so ist, ist es eine weitere rätselhafte Geschichte, die wir im und über den Dom erzählen können."

Text: Kerstin Tretina

wien.ORF.at

Vor 75 Jahren brannte der Stephansdom